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Olympiabauten für tausend Jahre?

■ Eine Werk-Monografie über den Architekten des Olympiastadions, Werner March

Das Olympia-Bad ist das Bad, das wohl den eigenartigsten Zu- und Eingang aller Berliner Freibäder aufzuweisen hat: Man geht auf das Olympiastadion zu, biegt vor dem Kassenhäuschen nach rechts und zahlt; man geht dann einen gekrümmten Weg entlang, der links von einer mannshohen Hecke und rechts von Steinstelen (mit eingehauenen deutschen Olympiasieger-Namen) flankiert wird, dann weiter geradeaus, auf einen ziemlich unangenehmen Eingang zu, vor allem markiert durch einen Wehr-Turm, der mit bossierten Steinen verkleidet ist. Rechter Hand ist plötzlich nach der Stelen-Reihe viel Stacheldraht auf einer hohen Mauer. Auf der sich jetzt zeigenden schweren Eisentür unterhalb des Turmes prangen in schwarz auf gelbem Grund die Lettern »Chlorgasraum«. Dann kommt ein ziemlich finsterer Abstieg in dem Treppenturm und anschließend ein Wandelgang, von dem aus man die Umkleideräume betritt. Der ganze Weg hat so etwas Gespenstisches wie Lächerliches, ebenso etwas Deutsches wie Gewalttätiges, daß ich mich jedesmal frage, warum man hier noch keine gestalterischen Eingriffe vorgenommen hat. Im nächsten Moment bin ich dann wieder froh über diese Unterlassung: Das Schauerliche ist nicht ohne Reiz, und die Situation des Treppenabstiegs birgt Gefahren, wie ich sie als kleiner Junge witterte, als ich in den Keller zum »Sprudelwasserholen« geschickt wurde. Eigenartig bleibt auch, daß ich niemanden in dieser Stadt kenne, der sich je über diese vielleicht 150 Meter geäußert hätte.

Das »Schwimmstadion«, wie es auch heißt, ist Teil des »Reichssportfeldes« im Westen Charlottenburgs, Teil also der gigantischen Anlage, die anläßlich der Olympischen Spiele 1933-36 errichtet wurde. Diese Anlage wiederum geht zurück auf Planungen zu einem »Deutschen Sportforum« aus den zwanziger Jahren. Mit dem Bau eines großen Olympiastadions und weiteren dazugehörigen Sport-Anlagen sollte einmal mehr eine große baukulturelle Leistung vorgeführt werden, nach dem Diktum, das Adolf Hitler schon in »Mein Kampf« formulierte: daß nämlich ein starkes Deutschland eine große Architektur haben müsse.

Architekt der Anlage war der 1894 in Berlin geborene Werner March. Sein Vater: der geheime Baurat Otto March, Architekt 1845-1913. Dessen Vater war ebenfalls Architekt (Ernst March, 1798-1848) — mithin haben wir es bei den Marchs mit einer in drei Generationen als Baumeister in und für Berlin tätigen Familie zu tun.

Werner March gewann gemeinsam mit seinem Bruder 1926 den Wettbewerb zur Errichtung des »Deutschen Sportforums« und wurde nach der Olympiaentscheidung für Berlin im Jahre 1931 mit der Weiterplanung beauftragt. Diese Planungen nehmen im Gesamtschaffen des Architekten einen zentralen Platz ein — schon wegen des Umfangs der Bauaufgabe, aber auch wegen der Bedeutung, die die Architektur dieser Zeit in der Propaganda der Nazis spielte.

Ein Buch von Thomas Schmidt — »Werner March, Architekt des Olympiastadions 1894-1976« im Birkhäuser Verlang — behandelt nun dieses Werk (neben anderen ausgeführten und nicht realisierten Planungen des Architekten). Allein die Anlage des Stadions hat noch heute etwas Irritierendes, was daran liegen mag, daß sich hier einmal mehr eine moderne Haltung und eine moderne Konstruktion hinter einer verbrämten und verlogenen Werksteinverkleidung verbirgt. Ich muß gestehen, daß mich die so wuchtig erscheinenden Pfeiler der Wandelgänge des Olympiastadions nicht sonderlich erschrecken oder mich eine devote Haltung einnehmen lassen — sie sind schlicht dumm, ärgerlich und falsch. Vorgesehen — und bis 1934 im Entwurf enthalten — waren sichtbare schlanke Stahlbetonstützen, wie sie überhaupt das ganze Stadion aus einer modernen Stahlbetonkonstruktion entwickelt. Mit dieser modernen Haltung waren Hitler und sein Handlanger Albert Speer nicht einverstanden. Letzterer verfügte und entwarf schließlich selbst den Umhang.

Werner Marchs Haltung und Position zur Architektur in dieser Landschaft, vor allem seine Verpflichtung gegenüber der Lage und der Bedeutung des Reichssportfeldes, läßt sich einer seiner Stellungnahmen entnehmen: »Ein wichtiges Gebot war es, unsere empfindliche und zarte märkische Landschaft nicht zu schwer mit Großbauten zu belasten. Wenn man die Architektur der großen Vorfahren verfolgt, so wird man übereinstimmend erkennen, daß bei Schlüter, Knobelsdorff und Schinkel sich eine große Zartheit des Maßstabes bemerkbar macht. Das ist sicherlich geschehen, weil unsere Landschaft eine große Zartheit und Feinheit in Farbe und Form besitzt, die eine schwere Architektur nicht verträgt. Ich habe oft (...) Beziehungen zur japanischen Landschaft gefunden (...). So bin ich zu einer bewußten Auflösung des großen Körpers des Olympiastadions gelangt.«

March senkte das eigentliche Stadion, die Kampfbahnen und -flächen ab. Noch heute kontrastiert die räumliche Wirkung, die sich beim Zugehen auf das Stadion herstellt, mit der, die sich einstellt, wenn man das Stadion bzw. die Tribünen betritt oder das Stadion verläßt. Die Innenwirkung — dies grandiose Oval — ist schlicht, zurückhaltend, sachlich und von erhabener Ruhe, im eigentlichen Sinne eben modern. Die räumliche Disposition und die Raffinesse, die dieser Anlage zugrunde liegt, läßt sich zuletzt aus dem Schwimmstadion heraus noch einmal erleben. Vom Ende des großen Schwimmbeckens aus schließt das Stadion die Schwimmarena optisch ab, verleiht ihr diese klare Raumkonzeption. Man vermag sich kaum vorzustellen, wie sich diese Wirkung bei der Freilegung des Stahlbetonskeletts ausnehmen würde.

Die Geschichte der Planung des Reichssportfeldes und seiner einzelnen Bauten, die Kompromisse, die March gegenüber den Machthabern eingehen mußte und auch seine weiteren Entwürfe — vor allem immer wieder Stadionentwürfe im In- und Ausland — stellt das Buch sachlich und mit der gebotenen Vorsicht vor. Immer wieder scheint dabei zwar die moderne Haltung Marchs durch: Große Architektur ist das trotzdem nicht. Alles bleibt auf unausdrückbare Weise unbefriedigend. Es haftet zuviel kompromißlerischer Zeitgeist an ihnen, zuviel Vorsicht und Rücksichtnahme ist den Projekten und gebauten Ergebnissen anzusehen. Der Grundtenor ist immer eine nicht recht zu definierende klassisch-klassizistische Haltung, die Werner March während der Nazizeit zum Konkurrenten Albert Speer werden und ihn auch später nicht über das Mittelmaß hinauskommen ließ.

Kompromiß oder Opportunismus? — March trat schon am 1. Mai 1933 — ohne Not! — in die NSDAP ein. Seine Bauten, zum Beispiel die ehemalige jugoslawische Botschaft in Tiergarten (1938-40), seine städtebaulichen Entwürfe für Hamburg (Elbufergestaltung 1937) und Breslau (1939) und die Beteiligung an der Planung für die gigantische, stadtzerstörerische Berliner Nord-Süd- Achse lassen keinen Zweifel aufkommen: Nazi-Großkitsch, Verbeugung vor Hitler-Speerschem Bau- Wahn und Beteiligung an diesem Wahn. Es war an der Zeit, sich mit dem Architekten, Stadtplaner und Stadionbauer March, dessen Rang auf diesem Gebiet unumstritten ist, auseinanderzusetzen. In ihrem Nachwort zeigt die Architekturkritikerin Anna Teut einmal mehr diese Notwendigkeit — auch anhand der nicht immer glatt verlaufenen Rezeptionsgeschichte der Architektur des Dritten Reiches. Martin Kieren

Thomas Schmidt: Werner March, Architekt des Olympiastadions 1894-1976. Birkhäuser Verlag Basel, Boston, Berlin 1992. 168 Seiten mit 193 sw-Abbildungen, gebunden 108 DM

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