: Wenn auf Altölfässern »Orangensaft« steht
■ Müllschieber versuchen immer wieder, Sondermüll »billig« verschwinden zu lassen/ »Multivitamine« für Blumen entpuppen sich als Gift-Cocktail/ Sonderabfälle bei Ost-Betrieben besonders problematisch/ Kripo: Mehr Durchsuchungen
Berlin. Die Aufkleber mit den Totenköpfen sehen sie nicht. Denn die deutschen Zöllner lassen den polnischen Lastwagen an sich vorbeifahren, ohne ihn zu kontrollieren. Der polnische Zoll schöpft dagegen Verdacht. Am Grenzübergang Pomellen in Mecklenburg-Vorpommern werfen die Uniformierten einen Blick auf die Ladefläche, nachdem ihnen die Begleitpapiere nicht geheuer vorkommen. Den Papieren zufolge handelt es sich bei den 16 Tonnen Fracht um Multivitamine für Blumen — tatsächlich enthalten die Fässer und Pakete Insektizide, Pestizide (Lindan), DDT und quecksilberhaltige Stoffe, deren Verwendungsfrist abgelaufen ist. Der Laster wird zurückgeschickt und das Bundeskriminalamt verständigt. Weil die Umweltkripo der neuen Länder überlastet ist, ermittelt die Berliner Polizei seit März dieses Jahres.
Wenn Müll-Makler giftige Abfälle nicht ins osteuropäische Ausland »abschieben« können, suchen sie sich andere Wege, um die Gifte billig loszuwerden. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind wieder an die 1.000 Tonnen mit Chlorkohlenwasserstoffen belasteter Boden und Bauschutt in den ehemaligen Panzergraben rund um Berlin gekippt worden, berichtet Hans-Jörg Richter, Chef der Berliner Umweltkripo. Höchstwahrscheinlich stamme der Sonderabfall aus Berlin.
Der Tricks gibt es viele: Man beklebt einen Teil von 1.800 Fässern, die mit Silikon und Altöl vermengte Metallsplitter enthalten, mit Orangensaftetiketten und mietet eine Lagerhalle. So machte es der Berliner Müllvermittler Uwe P. mit einer Dabendorfer Firma (Kreis Zossen). Die Dabendorfer schalteten die Polizei erst ein, als Uwe P. nach einem Jahr die vereinbarte Miete von 30.000 Mark noch immer nicht gezahlt hatte. 50 Beamte der Umweltkripo durchsuchten Ende August 14 Wohn- und Geschäftsräume dreier Berliner Firmen und beschlagnahmten Unterlagen. Jetzt muß sich die Dabendorfer Lagerfirma aber mit P. streiten, wer die Entsorgungskosten von etwa 600.000 Mark zahlt — denn sein Müll sei es nicht, behauptet Mülldealer P.
Die drei Fälle sind die Spitze eines Skandals. Wie viele illegale Geschäfte mit giftigen Abfällen betrieben werden, mag keiner abzuschätzen. In Berlin fallen jährlich etwa 130.000 Tonnen Abfälle an, die nur mit Genehmigung der Umweltverwaltung gelagert und transportiert werden dürfen. Die Stoffe aus dem Darm der Wohlstandsgesellschaft werden im günstigsten Fall wiederverwertet. Zumeist aber wird die Chemie-Kloake durch die Schornsteine der Sonderabfallverbrennungsanlagen in die Luft gejagt und ihr Qualm großflächig aber fein über halbe Kontinente verteilt. Oder sie ticken als Zeitbombe auf der Sondermülldeponie.
Am meisten Sorge bereitet Wolfgang Bergfelder, Leiter der Abteilung Abfall und Immissionsschutz in der Umweltverwaltung, der Sondermüll im Ostteil der Stadt. Nach einem bisher unveröffentlichten Gutachten sollen dort jährlich »nur« 20.000 Tonnen anfallen. Doch, so Bergfelder, viele Betriebe sitzen auf Chemie-Cocktails, die erst durch die Wiedervereinigung zu teuer entsorgendem Sonderabfall wurden. Vor allem kleineren Betrieben fehle das Geld. Außerdem würden viele der ehemaligen DDR-Unternehmen die neue Gesetzeslage nicht kennen und unterschätzen. Dann gebe es für bestimmte Stoffgruppen, die es nur in der DDR gegeben habe, manchmal gar keine Entsorgungsmöglichkeiten. Mancher Betrieb stecke in einer Zwickmühle, denn für die Lagerung der Altlasten haben sie keine Erlaubnis. In diesen Fällen bemüht sich die Umweltverwaltung aber offenbar um eine möglichst unbürokratische Erlaubnis, Zwischenlager einrichten zu dürfen.
Die Umweltverwaltung hat einen guten Überblick über die Betriebe in Berlin, bei deren Prodution problematische Stoffe anfallen. Nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImsch), mit dem Grenzwerte für Gifte in Abwässer und Abluft festgelegt werden, müssen die Produktionsanlagen der Unternehmen genehmigt werden. Nach Bergfelders Angaben gebe es im Westteil der Stadt an die 900, im Ostteil an die 1.700 »BImsch-Betriebe«. Im Ostteil seien es deutlich mehr, weil es dort beispielsweise noch die vielen dezentralen Heizwerke gibt. Bei den genehmigten Anlagen wisse die Verwaltung, ob und welcher Sonderabfall ensteht, erläutert Hans-Dieter Kenneweg vom Abfallreferat. Deshalb sei es diesen Firmen kaum möglich, sich illegal der teuren Last zu entledigen. Wenn plötzlich keine Galvanikschlämme mehr anfielen, schöpften seine 42 Leute sofort Verdacht.
Und wie zwei der drei oben erwähnten Beispiele zeigen, werden illegale Müllmänner manchmal erwischt. Sie müssen sich noch auf einiges gefaßt machen. Kripomann Richter: »In den kommenden Wochen stehen etliche Durchsuchungen an.« Dirk Wildt
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