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Wie wär's mit einer "Ansichtskarte" aus Mostar?

■ betr.: "Bosnien, Uganda. Eine afrikanische Ansichtskarte", taz vom 5.9.92

betr.: „Bosnien, Uganda. Eine afrikanische Ansichtskarte“,

taz vom 5.9.92

Lieber Hans Magnus Enzensberger,

es gab Jahre, da war das Speke Hotel in der Mitte Kampalas kein Ort, an dem man sich an irgend etwas erinnerte. Es war ein Ort, an den man sich flüchtete, weil irgendeine marodierende Soldateska schon wieder wie wahnsinnig aus allen Rohren schoß. Und brandgefährlich wurde es immer ab 16 Uhr, weil diese blutjungen Fighter dann anfingen, das lokale Bier und den Schnaps zu trinken. Dann stand man ganz schnell an der Wand. Es half mir einmal nur, daß der besoffene Obote Youth Winger (Youngster, die in Obotes Partei UPC zum Morden abgerichtet wurden) gewahr wurde, daß ich ein Weißer bin — also ein wertvollerer Mensch. Da ließ er die Knarre sinken. Wir waren mit einem Konvoi von West-Nile über Pakwach zu spät nach Kampala eingefahren...

Ja, jetzt ist das ein vergleichsweise gemütlicher Ort. Wo man ganz gutes Bier bekommt, entweder das eigene Uganda-Bier oder das aus Zaire. Und wo man heute Intellektuelle sprechen kann, von der Makarere Universität. Damals gab es nur rückgratlose Knechte.

Und nun sagen Sie uns — aus der behüteten Idylle eines Landes, das unter den schrecklichen Ländern Ost-Afrikas eines mit guten Erfolgen ist — Uganda war damals wie Bosnien heute ist, nur ganz anders: weil es eben Uganda war. Und Sie sagen: Ja, die Medien waren da, solange die Leichen auf den Straßen lagen und Uganda sich unter dem Mord-Regime des Idi Amin Dada krümmte, dann sind sie verduftet. „Daß ein verwüstetes Land zur Normalität zurückkehrt, ist eine Sensation, die dem Publikum nicht zugemutet werden darf. Kaum, daß in Uganda Ruhe eingekehrt ist, haben die Fernsehteams das Land fluchtartig verlassen.“

Das ist so falsch wie wahr. Nein, es ist eher falsch: Und das hat damit zu tun, daß Sie, lieber Herr Zeit- Merker, zur Zeit an den Orten sein sollen, wenn an ihnen etwas Entscheidendes geschieht. Massenmord und Vergewaltigung.

Also: damals 1981 bis Januar 1986 gab es einen Staat und eine Regierung in Uganda, die ihrer eigenen Armee den Befehl zum Ausrotten bis zum letzten Mann, zur letzten Frau und zum letzten Kind gegeben hatte. Ja, und das war eben nicht die Zeit des Idi Amin Dada, sondern die Zeit des Dr.Milton Apollo Obote. Im Luwero Triangel wie in West Nile räumten die Truppen des Stammes von Obote, der Langi und der benachbarten Acholi blutig unter den Menschen im Dschungel des Luwero auf. Unter Idi Amin Dada war es vergleichsweise einfach für die Bevölkerung, die unpolitisch ihre Kassawa auf dem Tisch haben wollte. Nur wer dem Skandal-Tyrannen ins Angesicht und subversiv widersprach — der wurde den Krokodilen vorgeworfen, und das nicht symbolisch... Ja, und die Inder wurden aus dem Land geworfen, aber dagegen gab es nicht so furchtbar viel Widerstand unter den „ordinary ugandans“.

Damals wagte sich kaum mal ein Team nach Kampala, traute sich selten einmal eines der TV-Studios in Nairobi nach Uganda. Es war gefährlicher — als in Sarajevo. Es gab dort kein relativ sicheres Hotel, es gab keine UNO-Blauhelme. Die USA — merke: es war tiefster Kalter Krieg — honorierten Dr.Milton Apollo Obote, weil er in die richtige und nicht die falsche Richtung schaute, er wurde unterstützt. Und, so war das (war?) damals, die Bundesrepublik Deutschland machte mit. Sie setzte einmal für billige neun Monate die Entwicklungshilfe aus, dann schleunigst wieder ein. Schließlich war Washington dagegen, daß man durch so unbedachtes Ärgern des Massenmörders Obote diesen in die Hände Moskaus trieb... Menschenrechte? Papperlapapp. Wichtiger und entscheidend war: Dr.Milton Apollo Obote schielte nicht nach Moskau. [...]

Kurz: Mich ärgert es, daß Sie meinen, Sie kennen das alles, weil Sie hinterher mit einigen reden, reden, sich etwas notieren, ein Feuilleton machen, ein paar Gemeinplätze schreiben — und das war es. Im Zweifelsfall ist es nämlich egal, ob es in Afrika, im Libanon, in Vietnam oder Afghanistan oder dem Balkan ist. Die Konjunktur muß da sein, irgendeine Armee muß Transport-Logistik stellen, dann rennen sie alle, ABC, NBC bis RTL, alle haben es dann SATt.

Wir haben uns damals fast umgebracht. Die ÄrztInnen, die Krankenschwestern, die die Nacht über in einer Blockhütte in der Nähe des umkämpften Hospitals Nakaseke im Busch schlafen mußten, wenn wieder eine Granate herunterplatzte in der Umgegend oder ein halb besoffener Obote-Youth-Winger eine Rakete gezündet hatte, so im Suff. Oder wenn in einer Nacht ein ganzes Dorf sich in das Hospital der German Emergency Doctors (Cap Anamur) flüchtete, nicht etwas weil sie krank waren, Aspirin oder eine tropical ulcer Operation brauchten. Nein, weil sie bei den „musungos“ (Fremde) mit der wertvollen Haut, dem wertvollen Paß, der wertvolleren Existenz, sich sicher fühlten. Denn in dem ganzen Todes-Mord-Dschungel, wo hinterher die Gebeine von über 900.000 Menschen in jedem Dorf aufgebahrt wurden, gab es nur einen Platz, wo die Soldateska auf den einzigen wirksamen Befehl nicht hinlangen und morden durfte: Nakaseke.

[...] Daß die Medien und die UNO in Bosnien-Herzegowina und in Somalia sind, das hat so zufällige Gründe, wie es zufällig ist, daß Sie hinterher von der Tragödie Afrikas erfahren. Es wurde ja im Kalten Krieg der Konflikt gar nicht so wahrgenommen. Die Unterschiede zwischen Bosnien und Uganda sind viel größer als die Gemeinsamkeiten. Es reduziert sich ja auf wenige Stammesgruppen, es sind die Baganda, der alte Königsstamm, denen Obote den König herausgeekelt hatte, worüber die Baganda — der größte Stamm — immer noch traurig sind. Es gab die Kakwa und Lugbara, die Niloten, Stämme im Norden, die Idi Amin zum Königsstamm machte, es gab dann unter Obote die Acholi- Langi-Dominanz.

Kein Vergleich mit der finsteren Perspektive, die uns die jugoslawischen Stämme anbieten, die sich des verblödeten Gifts des Chauvinismus und des historisch begründeten Nationalismus blind verschrieben haben und massakrieren, daß es nur so spritzt. Die einen als Aggressoren, die sogar dabei noch krank geworden sind, autistisch, kollektiv-autistisch.

Kurz — mein wie eine Wucherung wachsendes Vorurteil über Intellektuelle hat Ihr Essay (Sparte „Kultur“) nur verstärkt. [...] Ich würde Sie zu einer „Ansichtskarte“ aus Mostar animieren. Eine Woche, sechs Tage und sechs Nächte möchte ich demnächst dort verbringen, um auch mal auszuprobieren, ob so ein verweichlichter Europäer, wie ich es geworden bin, das über 24 Stunden überhaupt aushält.

Die Schlußsätze Ihres Essays versöhnen mich: Sie zitieren — habe ich Ihre Zustimmung richtig geahnt oder wünsche ich sie mir nur? — den Literaturprofessor: „Die Serben und Kroaten kenne ich nicht, aber ich denke mir, daß sie tüchtig sind, wie die Deutschen, wie die meisten Europäer. Wir dagegen sind bekanntlich schlampig und vergeßlich. Und deshalb sind wir noch einmal davongekommen.“

Wir? Davongekommen? Wo haben wir uns denn schon einmal so exponiert, daß es uns hätte erwischen können? Wie? Also denn — Mostar, aber ohne UN-Flugzeug, bis Split mit Air Croatia, dann mit LKW drei- vier-fünf Stunden. O.K.? Rupert Neudeck,

Cap Anamur-Not-Ärzte, Köln

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