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Über den Beginn einer neuen Wirklichkeit

■ Große Politik in der meklenburgischen Provinz: Trevor Peters' Dokumentarfilm »Das Capitol«

An diesem Film ist nicht das wichtigste, ob er gut oder schlecht ist oder wie er gemacht ist. Sondern es ist sehr dringend und unbedingt notwendig zu sagen, daß er eindringliche Bilder aus einem Deutschland unprätentiös eingefangen hat, das seine Widersprüche zwischen »alter und neuer Zeit« (Trevor Peters) am liebsten an der Garderobe der Geschichte abgeben will.

Berichtet wird nicht nur über ein Kino und seine Mitarbeiter im mecklenburg-vorpommerischen Schwerin: Wer sehen kann, erfährt genug über den Beginn einer Wirklichkeit, in der wahrhaftig wieder versucht wird, Tatsachen mit Pech und Schwefel zu schaffen. Trevor Peters' leise Chronologie beginnt im Mai 1990 und endet im November 1991. Dazwischen liegen anderthalb Jahre, während der ein zu zwei Dritteln staatlich subventionierter Kulturbetrieb zum marktwirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmen umfunktioniert wird.

200 vom Kino Lebende werden entlassen. Peters' Film verfällt jedoch nicht in die larmoyante Bequemlichkeit, hier die Marktwirtschaft zu verteufeln, dort die DDR- Nischengesellschaft nachträglich zu verklären. Skizziert werden Hoffnungen und Träume nach dem sozialistischen Unhappy-End am Beispiel eines Kinobetriebes.

Begonnen hat es 1936: Als das Schweriner »Capitol« festlich im Nazi-Dekor mit der UFA-Produktion »Das Hofkonzert« von Detlev Siercks eröffnet wurde, jubilierten Johannes Heesters und Martha Eggert nicht nur, um sich und ihr Publikum für eine standesgemäße fürstliche Liebesheirat einzustimmen. Der deutsche Film zwischen 1933 und 1945 hatte im propagierten Wiederaufstieg seine politische Mission zu erfüllen.

Kino als Erziehungsanstalt reklamierte ab 1947 auch die erste sozialistische Republik auf deutschem Boden für sich — und kam zur Sache. Ein Schild am Eingang verweist auf den Vereinigungsparteitag von SPD und SED 1946: »Dem Kino obliegt fortan eine große, politisch unerhört wichtige Aufgabe.« Während den »Sommerfilmtagen 1974« gab's anläßlich des DDR-Staats-Jubiläums »niveauvolle Streifen, die auf unterhaltsame, spannende und informative Weise den Gedanken des Internationalismus ausdrücken«. Die Massen strömten — nicht unbedingt ins Kino.

Das alte und selbstverständlich Gewordene erwies sich als ganz unwirtschaftlich. Und die jetzt kamen unter dem Nibelungennamen Treuhand, trauten und trauen kaum jemandem der Einheimischen zu, das Neue ins Wirtschaftliche zu führen. Wollen es doch einige wagen, wie die junge, ehemalige Geschäftsführerin, die sich mit viel Geschick zur Kulturmanagerin gemausert hat und den DDR-Betrieb »störungsfrei« liquidiert, dann scheitern sie an DM-Millionen, die sie nie und nimmer aufbringen können für ein vernachlässigtes Kinogebäude.

Verführen wollten die Nazis, zu verbessern traten die miefigen SED- Genossen an, jetzt verdienen Kino- Krämer wie Klaus Fuchs mit Träumen und Wünschen vom Mainstream-Hollywood-Boulevard an den Zeiten des Umbruchs. Welche Chancen vertan wurden, als die Verantwortlichen den Dagebliebenen nicht den Nauaufbau zutrauten, an der dringenden Sanierung sich nicht beteiligten, davon erzählt Trevor Peters' Film.

»Licht lockt Leute«, zitiert die ehemalige Schildermalerin bei ihrem Abschied wehmütig. Wehe, wenn das Licht vom Feuer lockt. Yvonne Rehhahn

»Das Capitol« von Trevor Peters, vom 17. bis 23.9., jeweils 20 Uhr im fsk, Wiener Straße 20, Kreuzberg

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