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Hilflose Lehrer suchen Rat

■ Neonazis auf Vormarsch in Schulen / Seminar in Oldenburg

Sie sei „hilflos und erschlagen“, meldet eine Frau sich zu Wort. Ihre beiden Söhne seien Neonazis. Vor allem der Jüngste, erst 14jährige, mache ihr große Sorgen. „Was soll ich tun?“ Dieselbe Frage wollten am Donnerstag die anderen knapp 140 Teilnehmer, je zu Hälfte Frauen und Männer, einer Lehrerfortbildungs-Veranstaltung der Uni Oldenburg über Rechtsextremismus an Schulen beantwortet haben.

Die Mutter wollte einen Rat, den die Lehrer anscheinend noch nicht geben können. Es herrscht Hilflosigkeit in den Kollegien über den richtigen Umgang mit rechts orientierten Schülern. Sind es „nur“ die Folgen von sozialen und emotionalen Mangelerscheinungen ohne Verbindungen zur nationalsozialistischen Ideologie der Ewiggestrigen, wenn schon Elfjährige wissen, was „Ausländer klatschen“ ist und 15jährige SA-Lieder singen?

Diese von vielen Soziologen vertretene Ansicht weist der Politologe Raimund Hethey strikt zurück. Stattdessen konfrontierte er in Oldenburg mit der These von der ungebrochenen „Kontinuität des Faschismus“ und warnte davor, die Gefahr „zum Jugendproblem umzufunktionieren“. Der Neo-Faschismus rekrutiere seinen Nachwuchs nicht bei „durchgeknallten Jugendlichen“, sondern „aus der Mitte der Gesellschaft“. Die Frustierten aus den Randgruppen dienten dabei allenfalls als leicht zu lenkende Krawallmacher in Rostock und anderswo.

Als Beweis seiner These zeigte Hethey den schwedischen Fernsehfilm „Wahrheit macht frei“. Der Berliner Journalist Michael Schmidt hatte nach der Wallraff- Methode Einlaß gefunden in die geheimen Zirkel der international vernetzten Neonazis und durfte, von dem inzwischen verstorbenen Michael Kühnen überall empfohlen, mit der Videokamera filmen.

Die Lehrerinnen und Lehrer, sichtlich geschockt von dem Film, bekamen ein Flugblatt, Absender „Gau Niedersachsen der freiheitlichen deutschen Arbeiterpartei (FAP)“ mit auf den Heimweg. Darin heißt es: „Die Schule wird der entscheidende Ort für politische Auseinandersetzungen werden.“

Der hilflosen Mutter empfahl Hethey kategorisch: Den Jungen von seinem rechten Umfeld isolieren, am besten „eine zeitlang mit ihm verreisen“. Frage eines Lehrers: „Soll ich mit meiner halben Klasse verschwinden?“ Karin Güthlein /dpa

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