Ein Star demontiert sich selbst

Ein „Yellow Shark“ mit oft schulmäßig gediegenem Anspruch: Frank Zappa und das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt  ■ Von Niklaus Hablützel

Es mußte wohl so sein, und er hat es wohl so gewollt. Der Saal in der Alten Oper Frankfurt war auch ganz und gar einverstanden, als Louise Lecavalier mit ihrem Partner zum finalen Höhepunkt schritt. Die Dame im durchsichtigen Schwarzen gehört zur kanadischen Tanztruppe La La La Human Steps, deren Markenzeichen die Horizontale ist, bisher allerdings noch als tänzerische Opposition fliegender Menschen gegen die Schwerkraft zu bewundern. Hier geriet die Akrobatik nun zur Nummer der ziemlich bekannten, samenstrotzenden Art. Schrecklich, mitansehen zu müssen, wie ein Mann im Anzug sich verrenkt nach der allgemeinen Frau mit Arsch. Denn auch dahinter steckt ja die Sehnsucht nach dem ganz anderen, nach der wahren Lust — dem metaphorischen Fliegen eben.

Auch Frank Zappa, der die Rockgitarre mit dem Taktstock vertauscht hat, treibt sie noch um, diese Lust, die sich vor Jahrzehnten zur gesellschaftlichen Utopie aufgebläht hatte. Er kann nicht altern, sowenig wie seine dümmeren Kollegen des Popgeschäfts. Von ihnen jedoch, den ewig jungen Nostalgikern, unterscheidet ihn, daß er dieses Problem in Musik zu komponieren versucht. Kammermusik von zuweilen schulmäßig gediegenem Anspruch ist daraus entstanden, Streichquartett-Episoden, die klingen wie Janaceks späte Klagen, oder — am schönsten— eine langgezogene Trauermelodie über einem stolpernd ausgerenkten Vierviertel-Beat. Sie trägt den Titel „Amnerika“, der im Deutschen überaus sinnfällig als „An mein Amerika“ zu entziffern wäre. Denn weit entfernt von europäischen Standards der Moderne ist dieses naive Stück angesiedelt, nicht weniger entfernt aber auch von Zappas strammen Verbal-Provokationen, die ihm einen übermäßig guten Ruf in Wohngemeinschaften verschafft hatten — vor allem in deutschen. Er, der dort als Ikone auf dem Klo saß, möchte auswandern. Er pfeift sich ein paar Lieder und nimmt sie auseinander. Er kennt Popsongs und Vorbilder wie Schönberg, die einen zu gut, die anderen zu schlecht. Dazwischen, wo sich die Kraftlinien widersprechen, tappt er herum, treibt vordergründig serielle Entwicklungen so weit, bis die Melodie doch den Song preisgibt, der eigentlich darin gesteckt hat. Ein Ende solcher Anstrengungen ist nicht in Sicht, die Tanznummer, mit der das Frankfurter Gastspiel endete, ist deswegen symptomatisch. Sie füttert die Augen und verstopft die Ohren, sie ist ein Indiz heilloser Frustration, daher unvermeidlich. Natürlich wurde sie geradezu frenetisch beklatscht.

„Yellow Shark“ heißt die Produktion des heute 51jährigen, die er mit dem wirklich exzellenten Ensemble Modern einstudiert hat. Der Name hat nichts zu bedeuten, es handelt sich um ein Konzert mit Musik von Frank Zappa, ältere und ganz neue Kompositionen stehen nebeneinander, die allesamt auf dem heimischen Computer entstanden sind. Irgend jemand (im Programmheft heißt er „Ali N. Askin“) hat sie für Streich-, Blas- und Schlaginstrumente arrangiert, noch nicht einmal die Programmfolge steht fest. Zappa ist nicht fertig geworden. Mittelmäßigere Geister als er hätten aus diesem Unvermögen ein experimentelles Konzept gemacht. Er nicht, er leidet darunter und flüchtet sich in bewährten Klamauk, läßt etwa einen der Musiker, der weit Besseres zu tun hätte, ein Formular der amerikanischen Einwanderungsbehörde vorlesen. Und in der letzten Nummer vor der Pause muß uns die Bratschistin sogar darüber belehren, daß wir Scheiße fressen („Food Gathering in Post-Industrial America“). Brav wie eine Horde von Schweinen rülpsen dazu die Blechbläser in die Instrumente. Zumindest die paar Restfans, die ihren Zappa noch immer mit Haar und Schnauzer im eigenen Gesicht pflegen, hatten ihn wieder. Nur er selbst war in dieser ideologischen Hinsicht nicht mehr auffindbar, winkte verlegen vom Podium herab und ließ sich danach die Ansprache übersetzen, die ein Vertreter der Siemens-Werbeabteilung an ihn richtete: „Wir suchen das Experiment, Zappa ist ein Experiment, Siemens dankt Zappa.“

Der Satz war bares Geld wert, wie der Leiter der Frankfurter Feste bestätigen konnte, nur der Ehre wegen hat indessen eine Jury deutscher Musikkritiker in diesem Jahr den Deutschen Schallplattenpreis in der Sparte Jazz und Pop an Zappa verliehen — für sein Gesamtwerk. Er nahm die Urkunde entgegen und verdrückte sich. Er ist kein Star mehr. Er sitzt an seinem Musikcomputer und komponiert seine Demontage. Er möchte, daß in seiner Musik gelacht wird, aber er sieht nicht sehr glücklich aus dabei. Ein oder zwei Stücke dirigiert er selbst, dann ist am besten zu sehen, warum ihn das Ensemble Modern, das sonst nur allerfeinste Namen der Musikgeschichte in sein Programm aufnimmt, so sehr geliebt hat. Er spielt den Kapellmeister, gibt schlitzohrig deutliche Zeichen. Er weiß, daß diese Musik nicht besonders gut ist. Er kennt bloß keine bessere.

Nächste Aufführungen: Berlin, 23. und 24. September