„Das will ich nicht verstehen“

■ Friedensbewegung blockiert vor Balkankrieg / Diskussion hinterließ Ratlosigkeit

Die Friedensbewegten tun sich schwer mit dem Krieg auf dem Balkan. Erst die Berichte über Massenerschießungen und Lager im Kriegsgebiet brachten Bewegung in die öffentliiche Diskussion. Eine Delegation der Bundes-Grünen kam vor einigen Wochen aus dem Kriegsgebiet zurück und stieß noch einmal die Debatte um Intervention an.

„Friedenskarawane statt Kampftruppen“, mit diesem Stichwort nahmen jetzt das Friedesforum und die Bremer Grünen den Ball zur Diskussion auf. Eingeladen waren in der vergangenen Woche der SPD-Landesvorsitzender Horst Isola und das Grüne Bundesvorstandsmitglied Helmut Lippelt. Rund 50 BesucherInnen waren gekommen.

Von den klassischen Aktionen der Friedensbewegung war kaum die Rede, und wenn doch, legte sich bestenfalls Wehmut, meist Resignation über die Runde. Kaum jemand glaubte ernsthaft, daß Friedenskarawanen dem Morden ein Ende bereiten könnten. Helmut Lippelt: „Im letzten Jahr haben wir bundesweit für eine Friedenskarawane mobilisiert, und am Ende sind zwei teilbelegte Busse gefahren.“ Was aber dann?

Friedensbewegung im Stau

Jede Frage danach, was denn angesichts der Lager getan werden müsse, offenbarte die furchtbare Klemme, in der die Friedensbewegung steckt. Marieluise Beck: „Wir haben uns zu lange nicht gefragt, was denn Auschwitz befreit hat. Man kann Jugoslawien nicht als ein innenpolitisches Problem diskutieren.“

Aber schon diese Frage war den meisten zu viel. Von der SPD bis zum Wiederaufbaubund der KPD herrschte im Auditorium große Einigkeit: Das Militär ist keine Lösung, jede Debatte um militärisches Eingreifen treibe die Bundesrepublik in Kampfeinsätze. Intervention ja, aber nur unterhalb der Waffengewalt.

Und immer wieder kam das Argument dagegen: Die Generäle sind dagegen. Wer auf dem Balkan eingreift, muß auch woanders eingreifen. „Die Indianer im Urwald werden auch umgebracht“, rief der, der gerade noch die ablehnende Haltung Chinas zur Verstärkung der UNO-Truppen gelobt hatte. Horst Isola: „Man kann nicht beigehen und sagen, hier greifen wir ein und da nicht.“

Einen ganzen Abend lang drehte sich die Debatte darum, ob man sich der schlichten Frage nach der angemessenen Reaktion auf die Lager überhaupt stellen solle. Jeder, der sie stellte, der möglicherweise Analogien zwischen 1941 und 1992 herstellte, sah sich heftigen, allergischen Schüben aus dem Saal ausgesetzt: Ob es der moderate Helmut Lippelt war oder der zuspitzende Grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn. Lippelt: „Wir müssen uns mit dem Stichwort Genozid auseinandersetzen, vier fünftel der jugoslawischen Friedensbewegung sind für die kriegerische Intervention.“ Kuhn: „Wenn jetzt nichts passiert, wird Großserbien einfach durchgesetzt. Möglicherweise ist eine begrenzte Aggression von UNO- Truppen gegen Nachschublager der Bundesarmee nötig.“

Das ging den Bremer Friedensbewegten viel zu weit. Armin Stolle: „Dagegen wehre ich mich nach wie vor. Ich will das nicht begreifen, wie man darauf kommen kann.“ Und Horst Isola nutzte die Chance zu einer Verbalattacke gegen Kuhn, der „so locker bombardieren“ wolle: „Das halte ich für obszön.“ Lippelt: „Aber das ist Völkermord, was die Serben betreiben. Die Berichte aus den Lagern, das erinnert doch an Santiago“. Christoph Butterwegge, Chronist der Bremer Friedensbewegung: „Betroffenheit kann auch blind machen.“

So steckte einen Abend lang die Bremer Friedensbewegung im Stau: Die einen betonten, wie rettungslos verloren die Lagerinsassen seien, wenn jetzt nicht eingegriffen würde, die anderen hielten dagegen, so würde ein neues Feindbild konstruiert und die Bevölkerung auf weitere Kriege psychologisch vorbereitet. Näher kamen sich beide Seiten nicht. Jochen Grabler