: Willkommene Ablenkung
Italien nutzt den deutschen Rassismus — um nicht über den eigenen reden zu müssen ■ Aus Rom Werner Raith
Eigentlich müßte es uns doch wahnsinnig gut gehen“, frotzelt Italiens Starsatiriker Beppe Grillo. „Endlich haben wir wieder einen dicken, fetten, vorführbaren Feind: die Deutschen. In der Politik sind sie egoistisch, in der Wirtschaft präpotent, im Fremdenverkehr maulig — und vor allem sind sie so herrlich chauvinistisch und rassistisch. Manna vom Himmel für uns!“ Ein bißchen übertreibt er da vielleicht, der „Beppe nazionale“, doch ganz unrecht hat er nicht: Die negativen Meldungen über die Deutschen beherrschen die Schlagzeilen. Ganz Deutschland besteht aus Skinheads, zweifellos. Die Presse nennt sie „Naziskins“, um klarzumachen, daß die kahlschädligen Schläger nichts mit dem auch in Italien nicht ganz unbekannten Faschismus zu tun haben, sondern typisch deutsch sind.
Dabei hätten die Italiener durchaus vor der eigenen Tür zu kehren: Überfälle auf Ausländer gab es hier schon lange vor denen in der Bundesrepublik, einige davon — auf Schwarzafrikaner, Maghrebiner und im Norden mitunter auch auf Landsleute aus dem Süden — mit tödlichem Ausgang schon in den achtziger Jahren. Und daß es keine systematischen Attacken auf Asylantenheime gibt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß die Italiener solche Heime gar nicht kennen. Allenfalls die vorübergehend eingeströmten, aber alsbald wieder zurückgeschickten Albaner und ein paar tausend Ex-Jugoslawen wohnten und wohnen in Camps oder Carabinieri-Kasernen. Dort sind sie von einem so dichten Kordon von Ordnungshütern umgeben, daß Angriffsabsichten gar nicht erst aufkommen. Die Polizisten und Carabinieri stehen dort freilich weniger zum Schutz der AusländerInnen, als vielmehr um ihr Ausbüchsen und Untertauchen zu verhindern. Denn Italien betrachtet sich ebensowenig wie die Bundesrepublik als Einwanderungsland — obgleich ohne die eine Million Illegaler die Wirtschaft längst zusammengebrochen wäre.
Während die Medien nun lautstark auf die Bilder steinewerfender Deutscher und untätiger Polizisten weisen, erscheinen allenfalls kleine Artikel, wenn in Livorno und in Florenz, in Verona und in Rom jüdische Friedhöfe verwüstet, Mahntafeln mit Hakenkreuzen beschmiert und Drohbriefe in die Briefkästen jüdischer Gemeinden geworfen werden. Und nicht einmal der Rede wert findet es der Großteil der Presse, daß in den letzten zwei Monaten allein in der Region Lazium mehr als 140 Angriffe auf Sinti-und-Roma-Lager, auf Unterkünfte von Extrakommunitären und auf ambulante Händler zu verzeichnen waren. Auch für die Justiz ist das offenbar kein Anlaß zum Einschreiten. Als vor drei Monaten in Rom eine Skinhead-Gang gefaßt wurde, räumte die Gerichtsbarkeit den armen Eltern tagelange Tränen- Arien zur Verteidigung ihrer „irregeleiteten Sprößlinge“ ein, während den halbtot geprügelten AusländerInnen schon auf dem Polizeirevier unverhüllt mit Ausweisung gedroht wurde, falls sie ihre Geschichte der Presse allzu deutlich erzählen würden. Eine Erörterung dieses Skandals fand vor Gericht nicht statt.
Vielleicht hat Beppe Grillo doch recht: „Statt die deutschen Ausschreitungen zum Anlaß für den Blick in unsere eigene schmutzige Seele zu nehmen, ziehen wir aus dem Blick über den Zaun eine andere Konsequenz: Wenn bei denen alles zappenduster ist, sind wir mit unserem Tiefgrau doch fast schon weiße Engel.“
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