piwik no script img

Stolpe als Informant des SED-ZKs

■ Noch zwei Wochen nach der Maueröffnung informierte der heutige Ministerpräsident das Zentralkomitee der SED über geplante „Runde Tische“ in der damaligen DDR

Berlin (taz) — Manfred Stolpe hat noch zwei Wochen nach der Öffnung der Mauer das Zentralkomitee (ZK) der SED über Aktivitäten oppositioneller Gruppen in der DDR informiert. Das geht aus einem anderthalbseitigen Papier aus dem ZK mit Datum vom 24.11. 1989 hervor, das der taz vorliegt. „Durch einen Telefonanruf von Konsistorialpräsident Stolpe bei Genossen Peter Kraußer, Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK, wurde bekannt, daß sich morgen in kirchlichen Räumen die ,bekannten Gruppen und Initiativen‘ (Stolpe) treffen, um sich ihrerseits auf den ,Runden Tisch‘ vorzubereiten“, heißt es in dem Vermerk.

Das Treffen der Oppositionsgruppen fand am 24. November im Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Ost-Berlin statt. Stolpes Anruf in der Kirchenabteilung des ZK muß also am 23.11.92 erfolgt sein. Der Bündnis-90-Abgeordnete Gerd Poppe, der damals für die Initiative Frieden und Menschenrechte an dem Treffen im Bonhoeffer-Haus teilnahm, sagte der taz: „Der Stolpe-Anruf muß sich auf dieses Treffen beziehen.“

Erst im Anschluß an das Treffen, das ohne KirchenvertreterInnen stattfand, formulierten die sechs Oppositionsgruppen am 24.11. 89 einen Brief an den Oberkirchenrat Ziegler, Stolpes Nachfolger beim Bund der evangelischen Kirchen, in dem sie die Kirche erstmals um Unterstützung baten.

„Wir haben nie einen Auftrag an Stolpe gegeben im Zusammenhang mit dem Runden Tisch“, sagt Poppe. „Und natürlich ist Herr Stolpe von uns niemals gebeten worden, ausgerechnet die Kirchenabteilung des ZK über ein internes Vorbereitungstreffen zu informieren. Das wäre ja auch absurd.“ Manfred Stolpe habe im übrigen mit dem Treffen des Runden Tisches nie etwas zu tun gehabt.

Die Forderung nach einem Runden Tisch stellten die Oppositionsgruppen in der DDR gemeinsam erstmals am 10. November. Am 23.November erklärte sich die SED bereit, einen Runden Tisch zuzulassen. In dem ZK-Papier wird unter anderem die Frage erwogen, auf welcher politischen Ebene man den Runden Tisch ansiedeln solle: „Treffen sich die Spitzenpolitiker der Parteien und Organisationen, die in der Volkskammer vertreten sind, mit den neu entstandenen Gruppen, besteht die Gefahr einer Institutionalisierung des Runden Tisches, was zu einer Entmündigung der Volkskammer und der Regierung führen kann“, heißt es in dem Papier.

DDR-Medaille beschäftigt Untersuchungsausschuß

Potsdam (dpa) — Stolpe hat die DDR-Verdienstmedaille 1978 auf Vorschlag des damaligen Staatssekretärs für Kirchenfragen, Seigewasser, erhalten. Dies erklärte der frühere Vizestaatssekretär Hermann Kalb am Mittwoch bei einer öffentlichen Beweisaufnahme des Stolpe- Untersuchungsausschusses in Potsdam. Es sei ihm nicht bekannt, daß der Befehl zur Verleihung der Medaille von Erich Mielke kam. Kalb bestätigte damit eine persönliche Erklärung von Stolpe. Seigewasser war ein Jahr nach der Verleihung gestorben. Ihm sei jedoch nicht bekannt, so Kalb, ob Stolpe die Medaille durch Seigewasser überreicht wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen