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Moskau, Boomtown

Rußlands Hauptstadt wird zur Baustelle, aus alten Gemäuern schürfen Immobiliengenies Millionen  ■ Von Barbara Kerneck

Da wurde mehr als eine Tür vorsichtig geschlossen, bisweilen gleich zwei oder drei bei leeren Vorzimmern. Da durften Fragen nur im Flüsterton gestellt werden, und die Antwort war immer auch ein Menetekel, oft ein Schriftzug oder eine Zeichnung auf Papier, das langsam in den Flammen eines Feuerzeuges schmolz. Dies alles geschah im Moskau unserer Tage, und Schauplatz war keine Freimaurerloge, sondern häufig eine Privatwohnung, selten ein dienstliches Kabinett. Aber gemauert wurde viel — und um das Maurerhandwerk ging es u.a. auch bei der Recherche des angesehenen Publizisten Juri Tschekotschichin. Monatelang befragte er gut informierte und noch als ehrlich angesehene Moskauer Beamte und Unternehmer zu den Praktiken im Immobiliengeschäft der Stadt.

Was er dabei vorfand, war vor allem Angst. Und „Die Angst“ hieß auch seine große Dokumentation in der Literaturnaja Gaseta vom 10. Juni dieses Jahres. Lange war keiner Zeitung in der russischen Hauptstadt diese Ehre widerfahren: die Seite wurde wie in guten alten Samisdat-Tagen von Hand zu Hand weitergereicht und kopiert.

Da beschreibt Tschekotschichin eine Reihe von Verträgen, mit deren Hilfe ungesetzliche Grundstücksspekulationen ermöglicht wurden. Unter anderem stellte der Journalist die unziemliche Frage, wer es dem heutigen Bürgermeister Juri Luschkow ermöglicht habe, mit Frau seinen Urlaub in den USA zu verbringen und später nach England zu reisen — und nennt zwei Joint-ventures, deren Namen in diesem Zusammenhang wiederholt gefallen sind. In Tschekotschichins Gesprächen tauchte immer wieder ein gewisser Herr E.I. Bystrow auf, selbst Teilhaber unzähliger einschlägiger Firmen. Über ihn munkelt man heute in Moskau, seine Unterschrift genüge, damit ein Haus oder Grundstück den Besitzer wechsle. Und da figurierte eben diese Unterschrift in einem Protokoll der Moskauer Staatsanwaltschaft über die ungesetzliche Eintragung einer internationalen Gesellschaft ins Handeslregister der Stadt. Bystrows Namenszug besiegelte das Dokument anstelle der eigentlich erforderlichen Signatur des damaligen Bürgermeisteres Gawriil Popow.

Offenbar kam das häufiger vor. Bystrow war damals einer der Bevollmächtigten des Exekutivkomitees des Moskauer Stadtrates (Mossowjet), und vor dem Augustputsch im Jahr 1991 war er zudem Kanzleichef des Präsidenten der UdSSR, Michail Gorbatschow. Dem steckte am Tage nach dem Putsch einer der dreizehn russischen Verfassungsrichter, B. Olejnik, persönlich einen Zettel zu, mit Bitte um Aufklärung über Bystrows Rolle und Verbindung zu den Putschisten.

Gorbatschow antwortete nicht. Und nicht geantwortet hat auch bis heute Präsident Jelzin auf den Artikel in der Literaturnaja Gaseta. Der beginnt nämlich mit einer an den russischen Präsidenten gerichteten Bitte um Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission.

Von Ruinen zu Gold

In der Moskauer Innenstadt gibt es viele Spukhäuser. Bestimmte Gassen sind bei Kriegsfilmregisseuren höchst beliebt. Da gähnen leere Fensterhöhlen in den östlichen Nachthimmel, Türen sind mit Stroh verbarrikadiert, und in der Ruine eines Stadtpalais picken die Hühner.

In letzter Zeit beschleunigte sich der Verfall — kein Zufall. Baufällige Häuser, die nicht mehr bewohnbar sind, unterliegen nicht der nun allseits angesagten Privatisierung. Sie werden, wie es ganz offiziell heißt, „abgeschrieben“, die früheren Mieter dürfen sie nicht mehr günstig als Eigentum erwerben, wie im Prinzip alle Moskauer ihren gegenwärtigen Wohnraum. Die Verfügung über diese Gebäude geht vielmehr an die Bezirksverwaltungen zurück. Manchmal, behaupten die Anwohner, werden auch ganz ordentliche Dächer aufgehackt, damit die Wände und Böden ein bißchen schneller modern.

Mein Freund X, mit Leidenschaft Familienvater, bewohnt mit Frau und drei Kindern eine Etage eines historischen Gebäudes an der Touristen-Fußgängerzone Arbat, eine alte Pension mit ewig langen Korridoren. X und seine Frau haben in jahrelanger Handarbeit ihre Wohnung zu einem Schmuckstück moderner Pädagogik herausgeputzt, mit Rollschuhbahn auf dem Flur und sauber renovierten Inseln der Individualität für jedes Familienmitglied. Als sie jetzt ihren Antrag auf Privatisierung stellten, bekamen sie von der betreffenden Behörde die Auskunft: „Wenn Sie darauf beharren, schreiben wir einfach ein paar Zimmer ab, das heißt, wir versiegeln sie als baufällig, und Ihre Kinderchen können sehen, wo sie bleiben.“

Von vielen ähnlichen Geschichten ist die des Joint-ventures KNIT mit seinem Projekt Kaluschskaja Sostawa noch immer die groteskeste. In einem Interview mit Moscow News erzählte der heutige Vorsitzende der politisch einflußreichen „Bürger-Union“, Arkadi Wolski, im Sommer 1990 sei bei ihm in Begleitung eines KGB-Obristen ein großkalibriger westlicher Geldmann erschienen, der Bronstein oder so ähnlich geheißen habe. Der genannte Mann, von dem, so die Moskauer Wochenzeitung Megapolis Express, die französische Presse zur gleichen Zeit als „Birstein“ berichtete, habe auf ZK-Anweisung in einer für ausländische Staatsoberhäupter bestimmten Villa gewohnt und sei in einer Tschaika mit Polizeieskorte durch die Stadt kutschiert worden. Wolski zeigte dem zweifelhaften Emissär die kalte Schulter.

Die Stadt Moskau war weniger vorsichtig. Im Dezember des gleichen Jahres schloß der Moskauer Oktjabrski-Bezirk in Gestalt seines damaligen Ratsvorsitzenden Ilja Saslawski einen Vertrag mit Pellerin ab. Demzufolge wurde dessen Firma KNIT-Kaluschskaja- Solstawa von der Steuer befreit und erhielt etwa 60 Hektar dichtbesiedeltes Land um den Gagarin- Platz auf 99 Jahre für zehn Dollar pro Jahr (inzwischen ein wenig erhöht). Als Vermieterin fungierte hier eine „Verwaltung für Kommunales Eigentum“ (UKOSO) beim Oktjabrski-Bezirk. In deren Verfügungsgewalt hatte die Stadtregierung kurzerhand die Grundstücke im Bezirk übertragen.

Wie sich zeigt, war die UKOSO an einer niedrigen Miete direkt interessiert — nämlich als gleichzeitige Teilhaberin an dem Joint-venture. Und woher nahm die frischgeborene Organisation das Kapital, um in diese Firma einzusteigen? Tatsächlich brachte die UKOSO per Vertrag eben ihren Anspruch auf alle von der Firma KNIT-Kaluschskaja-Solstawa in den nächsten 99 Jahren zu zahlenden Mietsummen im voraus als Kapitaleinlage ein. In der Konsequenz beraubte sie also die Stadt Moskau um die Mieteinnahmen und sicherte dafür sich selbst einen stabilen Anteil von 23 Prozent an den auf diesem Terrain zu erwartenden Einnahmen aus der geplanten Weitervermietung an Läden und Büros ausländischer Firmen von 65 Millionen Dollar im Jahr.

Von Beamten zu Yuppies

Die Tätigkeit der UKOSO ist inzwischen durch einen städtischen Erlaß unterbunden, die Firma KNIT und andere wiegen sich aber in der Gewißheit, daß bald ein ähnlicher Vertragspartner ihr Erbe antritt. Das Paradox hat Schule gemacht: kommerzielle Organisationen handeln als Vertreter der Staatsmacht. Auf diese Weise werden aus Verwaltungsbeamten Geschäftsleute mit dem Recht, über Staatseigentum und -ressourcen zu verfügen, mit deren Hilfe sie alle Konkurrenten an die Wand drücken können.

Den meisten MoskauerInnen bereitet das Wort UKOSO noch Kopfzerbrechen. Was aber ein GLAVK ist, das wissen alle: nämlich ein „Hauptkomitee“. Ein solches war bis vor kurzem das „Mossingstroj“, eine Organisation, die sich jahrelang der bescheidenen und wichtigen Aufgabe des Tiefbaus in der Stadt widmete. Das tut sie auch weiterhin, allerdings nicht mehr als „Hauptkomitee“, sondern bereits als „Assoziation von Bauunternehmen und -organisationen Mossingstroj“. Angeblich freiwillig vereinigten sich zu der neuen Formation über zwanzig Staatsbetriebe und Trusts, die früher dem gleichnamigen Hauptkomitee unterstellt waren.

Moscow News berichtete dazu, daß die Leiter eines dieser Unternehmen von ihrer neuen unternehmerischen Freiheit erst ganz unfreiwillig erfuhren, als sie bei der für sie zuständigen Moskauer Behörde vorsprachen. Unterschrieben haben den Vertrag die alten Direktoren dieser Betriebe, die nicht unbedingt mit jenen Managern identisch sind, die von den Arbeitskollektiven, falls sie jemand fragte, in die Führung gewählt wurden. Per Vereinbarung sind die Unterzeichnenden in ihren geschäftlichen Operationen frei — solange sie nicht Projekte begünstigen, die eine Konkurrenz zu „Mossingstroj“ darstellen. Moscow News schreibt: „Die Organisatoren von Mossingstroj verbinden mit dem Segen der Moskauer Machthaber alle Vorteile des Staatsmonopols — garantierte öffentliche Aufträge, garantierte Finanzierung und Lieferung von Material — mit den delikaten Errungenschaften des Privatunternehmertums. Sobald nur irgend etwas in Moskau gebaut wird, werden die neuen Hausherren von Mossingstroj ihr Häppchen abbekommen.“

„Mossingstroj“ ist auch der russische Hauptteilhaber des russisch- amerikanischen Joint-ventures Perestroika, die erfolgreichste Baufirma Moskaus. Als Musterbeispiel von Privatinitiative stellt Perestroika ihre neuen Siedlungen dar, die vielen Hauptstädtern erstmals eine Ahnung von bestem westlichen Baustandard vermittelt haben. Am Setun-See im Moskauer Westen, wo der Wind aus einer ökologisch günstigen Richtung weht, stehen heute die ersten von 31 geplanten Häusern im Cottage- Stil. Hier entstehen 120 Wohnungen mit Einfamilienflair. Alle sind mit Garagen ausgestattet, je nach Wahl mit Sauna oder Whirlpool und vom pastellfarbenen Teppich bis zur Keramik-Ente bezugsfertig eingerichtet — ein Traum! Und wie Earl Worsham, Chef der „Worsham-Group“, die US-Teilhaberin von Perestroika, sagt: „ein Stückchen amerikanischer Traum in Moskau“.

Niemand macht einen Hehl daraus, daß diese Gebäude bei einer voraussichtlichen Jahresmiete von 650 Dollar pro Quadratmeter in der Praxis kaum von Russen bewohnt werden können. Dennoch betont Worsham, die Setun-Cottages würden wie Starenkästen die Vertreter des internationalen Kapitals zu segensreichem Wirken in russischen Fluren anlocken.

So weit so gut. Mit ihren ersten Gewinnen erwarb Perestroika 1.200 Hektar Land — in einem idyllischen Eckchen des US-Bundesstaates Tennessee. Hier soll, bei günstiger Entwicklung der Immobilienpreise in den USA, eine Feriensiedlung mit etwa 1.000 Cottages entstehen, darunter ein Dorf im russischen Stil. Zum Nisten in Tennessee könnten nach Vorstellungen der Perestroika-Geschäftsführung verschiedene Wellen der russischen Emigration in den USA angelockt werden. Wer kann ausschließen, daß auch die russischen Immobilienmanager einst deren Schicksal teilen werden?

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