: „Allein schon aus Rücksicht auf meine Verdienste...“
■ Wenn einer aus deutscher Sicht Anspruch erheben dürfe auf politisches Asyl, dann sei er es, meint in einem Brief an den Präsidenten des deutschen Flüchtlingsamtes der ungarische Schriftsteller István Eörsi
Berlin, den 16. Mai 2000
Sehr geehrter Herr Präsident!
Vor allem bitte ich Sie um Nachsicht für die Aufdringlichkeit, mit der ich mich an Sie wende. Ich kann mir lebhaft vorstellen, in welch unmögliche Situation Sie kämen, wenn all die vierzehn Millionen vom Bürgerkrieg betroffenen Inder, deren Antrag Ihre Behörde vorgestern mit einer Bündigkeit, die als stilistische Meisterleistung gelten kann, abgelehnt hat, oder die siebenunddreißig Millionen aus China geflohenen oppositionellen Intellektuellen, die seit vier Monaten auf Handelsschiffen, Flößen und Kähnen vor Wilhelmshaven, Bremerhaven und Cuxhaven sowie vor Travemünde und Warnemünde auf offener See warten, ein Gleiches täten, um ihr gemeinsames Anliegen mit persönlichen Motiven zu untermauern.
Wenngleich ich das Recht der oben erwähnten Personen zu einer solchen Aktion anerkenne (sind doch auch sie menschliche Wesen), möchte ich unterstreichen, daß aus deutscher Sicht mein Fall sich von dem ihrigen grundlegend unterscheidet. Ich bin Europäer, geborener Ungar, und lebe seit früher Jugend im Bannkreis der deutschen Kultur. Besonders stark beeinflußt wurde ich von Marx Hegel, aber auch von Goethe, Heine, Thomas Mann und Brecht Botho Strauß. In den Jahrzehnten des Kommunismus fristete ich mein Leben als Übersetzer deutscher Klassiker. Doch meine Beziehung zum Deutschtum ist älteren Datums, denn meine Großmutter, eine geborene Rita Arnstein, sowie eine Tante und ein Onkel endeten in deutschen Gaskammern.
Aus Dankbarkeit: Anpassung an Deutschland
Als die Volksnationale Front der Ungarischen Ungarn 1994 unter Berufung auf die bevorstehende serbische, rumänische und slowakische Aggression die Wahlergebnisse annullierte und den Ausnahmezustand verkündete, floh ich nach Berlin. Dazu veranlaßten mich nicht nur geschmackliche und politische Beweggründe, sondern auch ein Zufall. Der Führer der erwähnten, bis zum heutigen Tag an der Macht befindlichen Front und ich hatten in jungen Jahren ein und dasselbe Holzhaus für Rendezvous benutzt, jahrelang hatten wir den Schlüssel zu diesem einander aus den Händen gerissen. Es war naheliegend, daß er, nunmehr ein fanatischer Priester der Dreifaltigkeit Gott — Familie — Vaterland, mit seinen Gegnern kurzen Prozeß machen und damit bei den intimen Zeugen seiner früheren Liederlichkeit beginnen würde.
In Berlin erwarteten mich Freunde und sinnvoll erscheinende literarische Aufgaben. Die Nachrichten über den nationalistischen Irrsinn in Ungarn und einige Veröffentlichungen von mir verhalfen mir bald zu einem Fremdenpaß. Aus Dankbarkeit paßte ich mich den deutschen Verhältnissen an, ich suspendierte sogar einen Teil meiner Prinzipien. So pries ich beispielsweise in einer Pariser ungarischen Zeitschrift das Gewaltmonopol des Staates, ohne auch nur zu erwähnen, wie unterschiedlich der Verstoß gegen es geahndet wird. (Gerade in jenen Wochen erhielten drei Skinheads zwei Jahre Gefängnis pro Kopf, ausgesetzt zur Bewährung, weil sie einen jungen Hongkonger erschlagen haten, während zwei Tage später ein Linksterrorist zu Lebenslänglich plus fünfzehn Jahren verurteilt wurde, weil er ein Auto in die Luft gejagt hatte, wobei es zu einer schweren Körperverletzung kam.) 1998 gab ich der ungarischen Sektion des Senders Freies Europa ein Interview zum Thema „Aspekte der Solidarität in der deutschen Außenpolitik“, in dem ich behauptete, für die restlose Ausrottung der Kurden in der Türkei mittels deutscher Waffen sei nicht die Regierung verantwortlich zu machen. Die an Libyen verkauften Atomraketen konnte ich nicht verschweigen, jedoch betonte ich nachdrücklich, daß zwei verantwortliche Angestellte des Exportkonzerns zu empfindlichen Geldstrafen verurteilt wurden. Als mildernden Umstand führte ich an, daß genau diese juristisch anfechtbare Aktion Amerika veranlaßte, Libyen durch einen atomaren Schlag zu vernichten. Im Zuge meiner Anpassung befolge ich zudem den Rat des Bürgermeisters von Berlin und betrete trotz meines fortgeschrittenen Alters seit drei Jahren die Straße nicht mehr ohne Gasmaske.
Wegen grober Verletzung der Menschenrechte
Im vergangenen Monat haben der deutsche Außenminister Oskar und die Volksnationale Front der Ungarischen Ungarn vereinbart, daß letztere gegen ein Kopfgeld von achtzigtausend Mark ungarische politische Flüchtlinge von Deutschland zurücknimmt. So wurde mein Fremdenpaß eingezogen, und ich habe bereits den Bescheid in der Tasche, daß ich spätestens in einem Monat vom heutigen Tag an gerechnet, also zum Jahrestag der Hinrichtung von Ministerpräsident Imre Nagy, nach Ungarn zurückkehren soll. An diesem Tag werden seit zwei Jahren vor dem Märtyrerdenkmal zehn regierungsfeindliche, linke Elemente im Rahmen eines Spießrutenlaufs einem uralten Kriegsgott als Opfer dargebracht. Die Front nämlich hat das Christentum, deren unerschütterliche Schutzpatronin sie ist, dahingehend erneuert, daß sie in der Dreifaltigkeit den Heiligen Geist durch diesen Gott ersetzte. In einem großen Essay hat der Kulturminister die ungarische Abstammung des Kriegsgottes nachgewiesen.
Eine Dame, die dem Führer der Front wie auch mir aus gemeinsamen Holzhauszeiten bestens bekannt ist, hat mich insgeheim informiert, daß ich dieses Jahr auf der Liste der zehn stehe. Doch selbst wenn sich das als Gerücht erweist: In Ungarn ist das Tragen von Masken sowie jegliche Verdeckung der Gesichtsfarbe und der Nasenwölbung verboten, so daß mich jeder glühende Patriot auf der Straße in den Bauch treten kann.
Ich erwähne noch, daß im Januar dieses Jahres die obere Altersgrenze für die Wehrpflicht auf siebzig Jahre heraufgesetzt wurde, ich aber erst neunundsechzig bin. In der Armee Ungarns wurde — in Umkehrung der türkischen Verhältnisse — das Tragen einer Vorhaut zur Pflicht gemacht. Das Annähen einer künstlichen Vorhaut wäre ein Tortur.
Diese grobe Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Unversehrtheit dürfte für das Amt, das Sie, sehr geehrter Herr Präsident, leiten, allein schon Grund genug sein, mir aus Rücksicht auf meinen langen hiesigen Aufenthalt und meine Verdienste Asyl zu gewähren.
Hochachtungsvoll
István Eörsi
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