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Staatsschutz filmt illegal und lügt

■ Trotz Dementi aus dem Präsidium: Videofilm-Material wird benutzt, um Verfahren gegen Demonstranten einzuleiten

einzuleiten

Nun ist es amtlich: Entgegen offiziellen Verlautbarungen aus dem Polizeipräsidium versucht der Hamburger Staatsschutz (LKA 3), aus illegal im Verlauf einer Pinnasberg- Protestaktion erlangten Videoaufzeichnungen Strafverfahren einzuleiten. Mehrere Betroffene haben bereits Vorladungen wegen „Nötigung“ erhalten - auch die GAL Bürgerschaftsabgeordneten Conny Jürgens und Anna Bruns. Hamburgs Datenschützer haben nun die Nase voll. Ralf Werner vom Referat D2 (Polizei): „Wir werden den Fall zum Anlaß nehmen, um uns umfassend mit polizeilichen Videoaufzeichnungen zu beschäftigen.“

Pinnasberg, 18. August 1992: In den Nachmittagsstunden versammeln sich 150 Personen, um gegen den am Morgen begonnenen Abriß der historischen Häuserzeile zu demonstrieren. Mit von der Partie: Ein Zivilfahnder der Davidswache, der ungeniert alle TeilnehmerInnen abfilmt. Auch als die Einsatzleitung die Demo vom Pinnasberg auf die Hafenrandstraße leitet, hält der Zivilfahnder mit Kamera und Zoom- Objektiv weiter drauf.

Schon Tage später schlägt Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Herrmann Schrader wegen der „Filmerei in der Grauzone“ gegenüber der taz Alarm: „Wir sehen die Tendenz, daß die Polizei immer mehr dazu über geht, im Nachhinein eine Rechtfertigung fürs Filmen zu finden.“ Doch aus dem Präsidium kam ein heftiges Dementi. Pressesprecher Wolfgang Lüdtke verprach der „Morgenpost“: „Da keine Straftaten begangen worden sind, ist die Löschung des Materials vorgesehen.“ Doch schon wenige Tage später mußte sich das Polizeisprachrohr korrigieren. Lüdtke zur taz: „Die Aufnahmen sind vom Revier 15 an das LKA 3 übergeben worden, werden jetzt ausgewertet, ob Straftaten verübt worden sind.“ Doch am Freitag vorletzter Woche beteuerte Lüdtke abermals: „Ich habe vom Staatsschutz die Auskunft bekommen: Im Zusammenhang mit den Videoaufnahmen gibt es keine Ermittlungsverfahren.“ Das Band sei nur noch nicht gelöscht worden, weil sich darauf noch Aufnahmen von dem morgendlichen Barrikadenbau befinden.

Der Grund für die abermalige taz-Nachfrage: Der schleswig-holsteinische Pastor Wolfgang Grell hatte eine Vorladung „als Zeuge“ zum Staatsschutz bekommen, weil man ihn angeblich auf dem Video als Teilnehmer identifiziert hatte. Grell: „Ich war gar nicht am Pinnasberg an diesem Nachmittag.“

Inzwischen ist klar: Lüdtke hat nicht die Wahrheit gesagt, vermutlich, weil er selbst vom Staatsschutz belogen wurde. Denn der Datenschutz bekam jetzt endgültig die Bestätigung für seine These, daß Polizeifilme dazu genutzt werden, um nachträglich Straftaten zu konstruieren. In mindestens zehn Fällen hat der Staatsschutz nach Auswertung des Bildmaterials Nötigungsverfahren wegen einer angeblichen „Blockade“ der Hafenrandstraße eingeleitet - trotz Lüdtkes Aussage, es seien keine Straftaten begangen worden und obwohl vor Ort keinerlei Personalien festgestellt worden waren. Für Datenschützer Werner ist der Fall klar: „Die Verwendung von Videoaufzeichnungen ist nur zulässig, wenn es vorher verwertbare und tatsäch-

1liche Anhaltspunkte für Straftaten gegeben hat.“

Selbst wenn am Morgen eine Barrikade gebrannt habe, rechtfertige dies nicht automatisch die Erfassung einer ganzen Demo am Nachmittag, stelle somit einen Ein-

1griff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht sowie das Grundrecht auf Demonstration dar. Werner: „Die Polizei muß nun nachvollziehbar begründen, auf welcher Grundlage damals gefilmt worden ist.“ Kai von Appen

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