piwik no script img

Haben Deutsche Angst vor Deutschen?

■ Zwei Berge bewegen sich: Zwischenbilanz der Kommunikationsprobleme zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg/ Frage nach den Gemeinsamkeiten

Prenzlauer Berg. Ein Mann aus Dresden kommt in ein Westberliner Büro. Er reicht der Sachbearbeiterin die Hand, fragt, ob er sie stören darf. Die Frau nimmt die angebotene Hand nicht, erkundigt sich, wieso er denn nicht vorher angerufen habe, sie habe jetzt keine Zeit. Wieso er nicht angerufen habe? Er habe leider kein Telefon, antwortet er und wundert sich über die Unhöflichkeit der Sachbearbeiterin: Als Ostler ist er es gewohnt, daß man sich zur Begrüßung die Hand reicht.

Die Szene, die in der Diskussionsrunde »Zwei Berge bewegen sich« zur Sprache kam, illustriert die Tücken der Ost-West-Verständigung auch im zweiten Jahr der Einheit. Ist dieser Dialog leichter zwischen den Bezirken Kreuzberg und Prenzlauer Berg, die nach landläufiger Vorstellung gemeinsam für gegenkulturelle Lebensweisen stehen?

Unter dem Motto »Dieselbe Sprache und sich fremd sein« diskutierten anläßlich des »Einheiztages« Vertreter von Bürgerinitiativen und Vereinen der beiden Stadtbezirke über das Verhältnis zueinander, Hemmschwellen und Berührungsängste. Zwei Monate intensiver Gespräche im Vorfeld, zu denen die KulturBrauerei alle Kreuzberger und Prenzelberger Vereine eingeladen hatte, waren nötig, um, wie der Programmkoordinator Jürgen Jannot betonte, immerhin zwanzig Initiativen und Vereine an einen Tisch zu bringen.

»Dann sind die Ossis eben ein bißchen verklappt«

Die Ostdeutschen wehrten sich gegen Vorurteile, »die Wessis sollten lieber Fragen stellen, statt mit vorgefertigten Meinungen aufzuwarten«. Der Anspruch der Westdeutschen, ihre Erfahrung zu vermitteln, wurde bestritten. Werde auf diese nicht gehört, so seien die Ossis eben »ein bißchen verklappt«. Dabei reklamierten die Prenzelberger ihre eigene Kultur, die von West nicht wahrgenommen werde. Nur die Ostdeutschen könnten die Westkultur beurteilen, da nur sie einen direkten Vergleich hätten: Schließlich hätten die Westdeutschen, im Gegensatz zu ihnen, nie in zwei verschiedenen Systemen gelebt.

In diesem Sinne sei es wünschenswert, die Eigenheiten zu erhalten, sie sogar als plurale Struktur zu pflegen. Sei es wirklich notwendig, eine gemeinsame Kultur zu entwickeln? Im Bemühen, eine gemeinsame Gesprächsbasis zu schaffen, gerät die Frage, wozu denn diese eigentlich nötig sei, fast aus dem Blick.

Ein Besucher forderte dazu auf, doch in die Zukunft zu blicken, schließlich gehe es hier nicht nur um allgemeine Ost/West-Probleme, die Bezirke stünden für Gegenkultur in Ost und West. Aufgabe sei es, dieses Gespräch zur Verteidigung der gewachsenen alternativen Kultur gegen die Bedrohung von rechts zu nutzen.

Wo die reale Bedrohung lauert

Wie groß die reale Bedrohung ist, machte Haroun Sweis von »Nachtfalter« deutlich. Seiner Ausländergruppe war es zu gefährlich, nach Ost-Berlin zu fahren, um an einer Graffiti-Aktion der KulturBrauerei teilzunehmen. Amüsiert über die Berührungsängste der Deutschen untereinander: »Ich dachte immer, nur die Ausländer haben Angst vor den Ostdeutschen; jetzt sehe ich, daß die Deutschen vor den Deutschen Angst haben.« ste

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen