: Ich bin das Volk
■ Margot Müller, Bremen, spielt ab Samstag ganz allein einen Aufstand
hierhin bitte
die quicke Frau
Ein wüstes Volksfestival, in dem Margot Müller abwechselnd den gerissenen Kartenverkäufer...
Tausend SchauspielschülerInnen prügeln sich alljährlich um die raren Plätze an den staatlichen Schauspielschulen. Margot Müller macht nicht mehr mit. Die junge Bremer Schauspielerin ist aus dem offiziellen Prüfungszirkus ausgestiegen und hat sich nach einer privaten Ausbildung in einer Bremer Schauspielschule selbständig gemacht. Mit drei satirischen Szenen von Dario Fo, die sie ab Samstag im Lagerhaus vorführen wird.
„Ich hatte Glück, verdammtes Glück, daß ich die Vorbereitung mit guten Schauspielern machen konnte“, sagt Margot Müller, die eine kleine, lebendige Frau ist, mit wachen Augen und verspielten Händen. „Die Ausbildung an privaten Schulen geht zu oft an der Realität vorbei. Da tritt man unbedarft in das Theaterleben ein und muß plötzlich sehen: nur mit Körpertraining, das geht einfach nicht!“
Es ging wirklich nicht. „Wir waren zu viert, eine freie Theatergruppe in Bielefeld, und ich hatte so große Hoffnungen, es ging ja um meine Existenz. Wir haben ein halbes Jahr hart gearbeitet und wir sind gnadenlos untergegangen. Es mangelte uns einfach an Handwerkszeug: Wie baut man Szenen auf, wie einen Charakter? Und wie um Gottes
hierhin wieder
die Frau
...den Stuhlanbieter, aber auch Jesus Christus...
Willen erreicht man wirklich das Publikum?“
Und wie überlebt man in der Zeit einer solchen Probenarbeit. „Sozialhilfe? Das ist einfach nicht meine Sache. Ich habe nebenbei in Kneipen bedient, Nachhilfe gegeben und Modell gestanden. Das war alles viel zu viel.“
Trotzdem hat Margot Müller nicht aufgegeben. Im Alleingang nahm sie sich Dario Fos obszöne Fabeln und Geschichten aus dem „Misterio Buffo“ vor, im Alleingang war sie ihre eigene Dramaturgin und Regisseurin. Sie hat den volkstümlichen Text von Dario Fo überarbeitet und aktualisiert („Wir gehen ja nicht mehr auf eine Kirmes, sondern zu Mega-Stars wie Michael Jackson“) — und es gab sehr erfreuliche Kritiken („Ein anspruchsvolles Programm“, schreibt die Neue Westfälische, „mit einer unglaublich starken Komödiantin.“).
Mit der ehemaligen Shakespeare-Company-Schauspielerin (heute TAB) Gabriele Blum studierte Margot Müller die erste der Dario Fo-Szenen neu ein. „Parpaja Topola“ — das entlaufene Mäuschen, heißt das Stück, in dem ein tumber Jüngling sich in ein wunderschönes Mädchen verliebt, das aber schon eine Affäre mit dem miesen Pfaffen hat, der sie weiter für sich haben will. Deshalb erklärt der Pfaff dem jungen Naiven, daß alle Frauen ein bissiges Mäuschen unter dem Rock haben, das nach allem mit scharfen Zähnen schnappt, was
nochmal
die Frau
...und alle geldlüsternen Leutchen spricht.
sich ihm nähern will. Die böse Mutter mischt mit in dem hinterhältigen Spiel, und Margot Müller ist alle Personen auf einmal: ohne Requisiten, ohne Kostüme, nur vertrauend auf ihr mimisches Können.
Auch die anderen Szenen funktionieren nach diesem Prinzip. Im „Aufstand von Bologna“ kommt das von der Obrigkeit beschissene Volk zu Wort und scheißt im wahrsten Sinne des Wortes zurück. „Die Auferstehung des Lazarus“ wird gefeiert als wüste Volksfestival-Szenerie, in der Margot Müller abwechselnd den gerissenen Kartenverkäufer, den Stuhlanbieter, Jesus Christus und alle sensationslüsternen und geldgierigen Leutchen spricht.
„Ich bin auf's Ganze gegangen“, sagt Margot Müller und lacht. Cornelia Kurth
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