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Leider verloren

■ Die Ateliergemeinschaft Thedekultur ist gekündigt, ein anderes Atelierprojekt ausgesetzt / Demnächst "Plätze" per Los?

ist gekündigt, ein anderes Atelierprojekt ausgesetzt/Demnächst „Plätze“ per Los?

Jeden Morgen befördere er alle Materialien „vom einzigen Tisch auf das Bett, um frühstücken zu können und jeden Abend umgekehrt alles wieder auf den Tisch, um das Bett frei zu haben.“ So beschrieb der Hamburger Künstler Christian Terstegge unlängst in einem Brief an die Behörden, wie es sich seit zehn Jahren auf 23 Quadratmetern lebt und arbeitet.

Die Aussicht auf Besserung währte nur kurz. Im Frühjahr hatte Terstegge vom Hamburger Verein Ateliers für die Kunst die Mitteilung erhalten, daß er demnächst ein 80 Quadratmeter großes Wohnatelier in Moorfleet beziehen könnte. Miete pro Quadratmeter: Acht Mark. Doch Mitte September kam die Absage.

Das Gebäude, das derzeit von den Elbe-Werkstätten als Behinderten-Werkstatt benutzt wird, sollte Anfang 1993 in zehn Wohnateliers umgebaut werden. Doch weil die neue Schule vorerst nicht ausreichend Platz bietet, mußten die Mieter ihre Kündigung bis auf weiteres zurückziehen. „Für uns sehr traurig“, findet dies Gerd Kairat, neuer Vorsitzender des Ateliervereins. Zwar bestehe noch die Aussicht, daß das Gebäude in zwei Jahren leer sei und man bis dahin „verzögert in der Planung weitermachen“ könne, aber für die sechs Künstler, denen man bereits zugesagt hatte, gelte es nun, „entweder zwei Jahre zu warten oder ein Ersatzprojekt zu finden“.

Doch daran mangelt es jetzt nicht nur den Anwärtern auf das Atelierprojekt Moorfleet. Denn auch die Ateliergemeinschaft in der Altonaer Thedestraße, eine seit acht Jahren bestehende Nutzergemeinschaft von insgesamt 30 Architekten, Fotografen und bildenden Künstlern muß das Haus zum Ende des Jahres räumen. Die ehemalige Thedeschule soll wieder Schule werden. Die Begründung: Die Kapazitäten der benachbarten Grundschule reichen nicht mehr aus.

Gewissermaßen doppelt betroffen ist der Künstler und Privatdozent Martin Conrad, der seit sieben Jahren in einem 60 Quadratmeter großen Atelier in der Thedestraße arbeitet. Er hatte sich im Juli diesen Jahres, im Zuge der bereits drohenden Kündigung, ebenfalls für ein Wohnatelier in Moorfleet beworben - und eine Zusage erhalten. „Besenrein“ müsse er sein jetziges

Atelier zum 31. Dezember 1992 übergeben, steht in dem Kündigungsschreiben, daß die Sprinkenhof AG dem Thedemieter vor zehn Tagen zustellen ließ. Und man „wiederspreche hiermit bereits jetzt jedem weiteren Verbleib in dem Mietobjekt.“ Atelierbesetzungen - auch das hat es in Hamburg schließlich schon gegeben.

Ratlos sitzt Martin Conrad neben fast deckenhohen Leinwänden, die in einer Ecke des Raumes aneinanderlehnen. Für Januar 1993 hat er einen Ausstellungstermin, dann im Frühsommer und noch einen im Herbst. „Ich brauche auf jeden Fall ein Atelier. Eigentlich habe ich keine Zeit umzuziehen. Meine erste Sorge ist, wo ich meine Sachen unterstellen kann, die zweite, wo ich überhaupt arbeiten kann.“

Bedauert werde die Auflösung der Thedekultur auch von Kultursenatorin Christina Weiss, wie ihr Sprecher Hinrich Schmidt-Henkel mitteilt, die „das alles aus Berichten kennt und genau weiß, was da verloren geht.“ Alternativen gebe es momentan nicht, jedenfalls nicht solche, die fristgerecht zur Verfügung stünden, weiß Schmidt-Henkel. Auch keinen Pfennig Geld für mögliche Transportkosten oder Zwischenlagerung der Bilder und Werkstätteneinrichtung: „Wenn wir ein Lager hätten, würden wir das wohl zu Ateliers umbauen.“

Die Großstadt Hamburg, die für viele Millionen ihre neue Kunstinsel installiert, besitzt, die Thedekultur bereits abgezogen, genau ein Ate-

lierhaus, das derzeit im Aufbau befindlich ist. 15 Arbeitsateliers werden in der Straße Sootbörn in Niendorf ausgebaut, auch das eine ehemalige Schule, die genau in der Einflugschneise des Flughafens liegt, weshalb es hier manchmal ein bißchen laut ist.

Einer der rund 100 ateliersuchenden Hamburger Künstler, die sich mit Sicherheit alle zuoberst auf der „Prioritätenliste“ der Kulturbehörde (wie es dort immer so schön heißt) drängeln, schlägt ein ganz neues Verfahren vor. Man könnte ja, so Martin Conrad, die nächsten freiwerdenden Arbeitsplätze „einfach verlosen.“ mb

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