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Fronten aufgeweicht

■ Die Autoren des Kursbuches 109 stellten sich der Deutschland-Diskussion

Fetzen fliegen gen Podium. Was das eigentlich für eine einseitige Zeitschrift geworden sei, dieses Kursbuch, kommen gleich zu Anfang die Vorwürfe aus dem Publikum. Und wo ist der Scharfsinn geblieben, der in früheren Zeiten aus wenigen eingeschleusten Exemplaren in die DDR sprühte und angesichts derer wißbegierig aufgemerkt wurde?

Die Redaktionschefin des Kursbuches, Ingrid Karsunke, präsentiert ihre Zeitschrift mit wenig Emphase und vielen imposanten Worten in der LiteraturWerkstatt Pankow: Feuilleton zu Gast in heiligen Hallen, die sonst den Literaten gehören. Das Kursbuch 109 heißt »Deutschland, Deutschland« Schriftsteller und Publizisten äußern sich zum Thema. Darunter die Publizisten Sonja Margolina und Thomas Schmid und die Schriftstellerin Monika Maron. Sie sitzen mit Karsunke und dem Leiter des Hauses, Thomas Wulfhart, auf dem Podium und tragen ihre Texte vor.

Die Russin, der West- und die Ostdeutschen sind sich erwartungsgemäß einig im Votum, daß die DDR ein elender Staat war. Dann jedoch trennen sich ihre Wege. Margolina und Schmid sinnieren über die Intellektuellen beider Teilstaaten, Monika Maron schränkt ihren Blick ein und redet allein vom Osten des Landes. Mit dessen Schriftstellern hat sie sich bereits beschäftigt. Insbesondere mit der Spezies, die sich — selbst längst abgefüttert — über die Gier und die »schlechten Tischmanieren der Hungrigen« (vgl. taz, 9.2.1990) mokierten.

Jetzt ist sie selber angewidert, allerdings aus anderen Gründen: Sie kann nicht ertragen, daß ihre »ehemaligen Staatsbürgerschaftsgefährten« glauben, »alle Welt sei ihnen etwas schuldig«. So wütete sie bereits im Spiegel. Ihre Polemik »Zonophobie« findet sich nun im Kursbuch wieder und löst im Auditorium der LiteraturWerkstatt zunächst den eingangs erwähnten enttäuschten Ausbruch eines überzeugten Identitäts-Ostdeutschen aus. Wie zur Bestätigung der Maronschen Anklage — »für jede Unbill wird ein Feindbild gebraucht« — fährt dieser Protestrufer die Frontscheibe zwischen Wessis und Ossis hoch. Egal, daß Thomas Schmid und Sonja Margolina geradezu krampfhaft bemüht sind zu differenzieren: Weil im ganzen Deutschland-Deutschland-Heft nicht eine einzige Pauschalverteidigung der DDR abgedruckt ist, muß das Heft mit zwingender Logik einseitig und die Statements von westlicher Uneinsicht geprägt sein.

Monika Maron platzt darob der Kragen. Zu Zonophobie gesellt sich nun Verfolgungswahn; sie sieht sich von der PDS umzingelt und beginnt, über den Fluch des (einstigen Johannes-R.-Becher-) Hauses zu spekulieren. Thomas Schmid hingegen verweist ob der Anschuldigungen, die ehemalige Bundesrepublik sei auch nichts Besseres, darauf, er habe ausdrücklich festgestellt, dieser Staat sei verbesserungswürdig.

Sowohl Schmid als auch Sonja Margolina verteidigen in ihren Beiträgen zum einen behutsam die Ostdeutschen und haben zum andern auch die westdeutschen Intellektuellen ins Gebet genommen. So begrüßt Margolina in ihrem Beitrag all jene Wessis, die »jetzt das Schlachtfeld der Moral verlassen und sich auf die Suche nach gegenseitiger Verständigung machen«. Es brauche Zeit, die »Denkformen in der Moderne« — will sagen, die der westlichen Zivilisation — zu erlernen, und die solle gefälligst gewährt werden. Sie weiß, wovon sie redet. Schließlich hat auch sie, allerdings schon 1987, die Reise in den Westen angetreten.

Zwar bemerkt derlei weise Nachsicht im Auditorium niemand, die Debatte entspannt sich dennoch. Es gibt im Publikum nicht genügend willige Schafe, die es den ewig (und jetzt noch viel mehr) Beleidigten überlassen, gegen die vermeintlich verständnisunwilligen Damen und Herren des Podiums zu Felde zu ziehen. Man möge sich die Vorwürfe doch erst einmal anhören, ehe sie abgewehrt würden, fordert eine Frau und gibt sich vorbeugend als Teil des ehemals willigen und einheitlichen Wahlvolks zu erkennen. Fortan ist die Kontroverse etwas weniger verbissen, und die Fronten sind aufgeweicht. Friederike Freier

Kursbuch 109: »Deutschland, Deutschland«. Hg. von Karl Markus Michel und Tilman Spengler, September 1992, 13 DM.

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