: Brandt-Allee statt Straße des 17.Juni?
■ Willy Brandt wird nächste Woche in Berlin beerdigt/ Debatte über den Vorschlag, Straße des 17. Juni umzubenennen
Berlin. Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin der Jahre 1957 bis 1966, wird am Sonnabend nächster Woche mit einem Staatsakt im Reichstag geehrt und anschließend auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf beigesetzt. Noch steht nicht fest, wie die Stadt Berlin das Andenken an ihren Ehrenbürger wachhalten will. Die taz fragte bei Prominenten und weniger Prominenten, was sie von dem Vorschlag halten, die Straße des 17. Juni nach Brandt zu benennen.
Wolfgang Thierse, stellvertretender Parteichef der SPD, unterstützte diese Idee »ausdrücklich«. Hans-Joachim Vogel, einer der Nachfolger Brandts als Regierender Bürgermeister, äußerte sich vorsichtiger: Wie dessen Ehrung auszusehen habe, »wird der Senat, das Abgeordnetenhaus, werden die Menschen in dieser Stadt zu besprechen haben«. Brandt sei noch nicht beerdigt, und deshalb »fühle ich mich nicht legitimiert, da vorzupreschen und etwas Konkretes zu benennen«. Auch FDP-Fraktionschefin Carola von Braun mochte sich nicht festlegen: »Es muß sicher eine der großen Straßen der Stadt nach Brandt benannt werden. Ob es der 17. Juni sein soll, muß gut durchdacht werden, wir dürfen auch die Opfer nicht vergessen.«
Ekkehard Krippendorf, Professor bei der FU, befand: »Man kann ihm natürlich keine kleine Straße in Klein-Machnow widmen, also warum nicht den 17. Juni. Schließlich war er eine großer Politiker.« Aber eigentlich sei er »ziemlich leidenschaftslos«. »Brandt war ein großer Politiker, aber gleichzeitig auch eine große Entäuschung. Er hat aus dem Potential derer, die ihn 1969 mit großen Hoffnungen und Erwartungen gewählt haben, nichts gemacht.« Menschlich allerdings habe er »die größte Achtung vor ihm, erst recht, wenn man ihn mit den heutigen Nullen vergleicht.« Der Ostberliner Schriftsteller Lutz Rathenow meinte, man solle eine wichtige Straße nach Brandt benennen, »aber nicht den 17. Juni und auch nicht die Karl-Marx-Straße. Für mich repräsentiert Brandt die Strömung des linken Antikommunismus, aber auch die Versuche der Versöhnung zwischen Ost und West.«
Rainer Hildebrandt, Leiter des Museums am Checkpoint Charlie, wollte hingegen von einer Umbenennung nichts wissen: »Die Straße soll den Menschen des Volksaufstandes gewidmet bleiben.« Brandt sei zwar ein bedeutender Politiker gewesen. »Er hat aber nie mit den Opfern gelebt, und die Straße des 17. Juni soll doch an diese erinnern.«
»Ich habe erst mal geweint«, gestand die 55jährige Kioskangestellte Karola Mielke bei einer Straßenumfrage der taz. Den Umbenennungsvorschlag nannte sie »eine gute Idee. Er hat so viel für uns getan.« Philippe Bouteiller, 24jähriger Student, befand: »Es wäre eine würdige Straße. Der 17. Juni steht für die Einheit Deutschlands. Brandt ist zeit seines Lebens für diese Einheit und die Auflösung des Ost-West Konflikts eingetreten.« Ähnlich sah es die 51jährige Sekretärin Monika Orlamünde: »Er hat es sich verdient. Sein traurigster Tag war der, an dem die Mauer gebaut wurde. Sein glücklichster war der, an dem die Mauer fiel. Seine Menschlichkeit sollte gewürdigt werden.« Auch der 36jährige Bewährungshelfer Holger Hanel meinte: »Ich habe nichts dagegen. Ich komme aus der Ex-DDR. Brandt war ein Mensch, dem man zuhören konnte. Er hat für uns viel getan. Beeindruckt hat mich sein Engagement für die Dritte Welt.« Ilona Hoffmann, 28jährige Ingenieurin, nannte den Vorschlag »gut. Der 17. Juni ist ein bißchen überholt. Brandt hat sich sehr dafür eingesetzt, den Ost- West-Konflikt zu entschärfen.«
Maria Müller, Erzieherin und 26 Jahre alt, meinte hingegen: »Warum denn? Es ist doch schade, den Namen umzubenennen, Wenn der Name sowieso geändert wird, bin ich aber dafür. Willy Brandt war ein großer Mann.« Das sah die 53jährige technische Zeichnerin Rita Samuelson anders: »Ich bin dagegen. Ich halte Umbenennungen von Straßen für Personen für Unfug.« usche/dr/aku/ste
Siehe auch Seiten 30 und 40
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