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Eine ganze Stadt fürchtet die „ZAST“

Die EinwohnerInnen Goldbergs in Mecklenburg blockieren die Ansiedlung der „Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber“/ „Wir sind aber nicht ausländerfeindlich“  ■ Aus Goldberg Bettina Markmeyer

Das Feuer brennt. „Rock me baby“, raunt es aus zwei Lautsprechern. Klamme Hände wärmen sich an Pappbechern mit heißem Kaffee, der Erbseneintopf ist alle. Eingepackt in Jacken und Hosen aus grünbraunen NVA-Beständen hocken Stefan Müller und Mathias Höppner auf einer Holzbank. Mit ihnen, rund ums Feuer, sitzen und stehen heute abend 60 GoldbergerInnen. Die älteste ist 81, die jüngsten sind keine 10 Jahre alt. Man kennt sich, man hat ein Ziel, man ist stolz auf sich: Hier, an der Zufahrt zum geplanten Auffanglager für AsylbewerberInnen, sitzt die Goldberger Avantgarde im Kampf gegen die große Politik und die gefürchteten „Asylanten“.

Nach dem Willen von Innenminister Lothar Kupfer, CDU, soll Goldberg, ein 6.000-EinwohnerInnen-Städtchen nicht weit von Schwerin, im früheren Ledigenwohnheim der einstigen NVA und heutigen Bundeswehrkaserne etwa 300 Asylsuchende unterbringen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern braucht ein Ausweichquartier für die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber (ZAST), die Ende August während der Krawalle von Rostock-Lichtenhagen nach Hinrichshagen verlegt wurde und schon wieder notorisch überfüllt ist. „Aber der Innenminister hat nicht nach dem günstigsten Objekt gesucht“, glauben Mathias Höppner und seine Kumpel, „sondern nach dem Ort mit dem geringsten Widerstand.“ Das sei mißlungen. Mit einer Blockade wollen die DemonstrantInnen die Einquartierung der Flüchtlinge verhindern.

Einen Tag, nachdem die Nachricht von der Asylstelle bekannt wurde, hatte der Ausländerbeauftragte der Landesregierung, Rusch, auf einer hitzigen Versammlung mit über 300 BürgerInnen am vergangenen Mittwoch einen schweren Stand. Er erklärte, in Mecklenburg-Vorpommern gäbe es für eine ZAST-Außenstelle derzeit keinen anderen Standort. Seit Donnerstag abend brennt das Lagerfeuer der „Mahnwache“. Am Sonnabend beteiligten sich über 500 GoldbergerInnen an einer Demonstration. Die Geschäftsleute der Stadt drohen öffentlich die Bildung einer „Bürgerwehr zum eigenen Schutz“ an, weshalb das Innenministerium den GoldbergerInnen „gesetzwidriges Verhalten“ vorwirft.

Alle Fraktionen, von der PDS bis zur CDU, haben sich in einer Resolution gegen die ZAST-Außenstelle gewendet. Sämtliche Ratsmitglieder wollen ihr Mandat niederlegen, und der parteilose Bürgermeister Dieter Wollschläger hat seinen Rücktritt für den Tag angekündigt, an dem die AsylbewerberInnen kommen. Damit hat sich die Stadt in eine Position hineinmanövriert, die weder Verhandlungspielraum noch Kompromisse zuläßt. Goldberg ist in Panik. Daran ändert auch die Zusicherung des Innenministeriums nichts, daß die ZAST-Außenstelle nur bis zum April 1993 auf dem Kasernengelände knapp zwei Kilometer außerhalb der Stadt eingerichtet werden soll. „Das glaubt hier kein Mensch“, sagt der Blumenhändler Dieter Larisch, der zugleich FDP- Stadtverordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Handel, Gewerbe und Tourismus ist.

Erbittert beschwören Larisch, Geschäftsleute und Ratsmitglieder am Dienstag abend im Hotel „Seelust“ den „Tod Goldbergs“ herauf. Der mühsam gefundene Betreiber für den Campingplatz am Goldbergsee, wenige 100 Meter neben der künftigen ZAST-Außenstelle, werde abspringen. Ebenso jener westdeutsche Investor, der dort ein Hotel mit Sportanlagen bauen will. „Das sind 60 Arbeitsplätze“, empört sich der Bürgermeister: „Alles, wofür wir in den letzten beiden Jahren gekämpft haben, wird jetzt vernichtet.“ Kommunalpolitik habe keinen Sinn mehr.

Mindestens ebenso empört wie über die unverhoffte Zuweisung der AsylbewerberInnen sind die GoldbergerInnen nach einer Woche Widerstand, daß „die Presse uns als Ausländerfeinde darstellt“. „Wir sind nicht ausländerfeindlich“, erklärt der hochgewachsene, massige Bürgermeister stoisch. Genauso wie „unsere Leute“ am Lagerfeuer, die er regelmäßig besucht, beteuert er, wegen der bisher 59 AsylbewerberInnen im Neubaugebiet habe es nie Konflikte gegeben. Im Gegenteil: Kleidung wurde gespendet, Spielzeug gebracht und eine Weihnachtsfeier für die Kinder organisiert. Und die zehn VietnamesInnen, die im Städtchen wohnen, seien „völlig integriert“, was bedeutet, daß man friedlich nebeneinander herlebt.

Doch die ZAST-Außenstelle sei ein „Fremdkörper“, sagt der Bürgermeister. Alle 14 Tage kämen dann neue AsylbewerberInnen und würden weiter verteilt. Und seitdem bekannt ist, daß aus der überfüllten Hinrichshagener ZAST auch Roma nach Goldberg kommen werden, kursieren in der ganzen Stadt Geschichten über Autoknackereien, Diebestouren, geklaute Pferde, gegrillte Katzen, Tankstelleneinbrüche, Schlägereien und Belästigungen durch Bettler, kurz, wie es ein Ratsmitglied formuliert: „Unsere Gegend wird mit Kriminalität überzogen.“

„Es geht hier ja nicht um Asylanten, sondern um Simulanten“, schimpft Waltraud Bier, die mit ihrer Familie das Hotel Seelust betreibt. Ihre Gaststätte ist zum Zentrum der ProtestlerInnen geworden. Sie nimmt Geld und Essensspenden entgegen und hat ständig Besuch von den BlockiererInnen in ihrem Büro.

Ihr Hotel könne sie zumachen, wenn die „Asylanten“ kämen. Entgegen anderslautender Gerüchte muß Waltraud Bier aber einräumen, daß noch kein Gast abgesagt hat. Und ein Unternehmensberater meint lakonisch, er käme natürlich auch weiterhin — nur „wenn hier Glatzen auftauchen, dann komme ich nicht mehr“.

Die Baracken, in denen die Flüchtlinge leben sollen, werden unterdessen in ein Gefängnis verwandelt. Ein hoher Zaun mit Stacheldraht ist gezogen, eine Fensterfront des U-förmigen Komplexes mit Holzplatten zugenagelt. „Dunkelhaft für Asylanten“, spottet man am Lagerfeuer: „Das ist wegen der Glatzen.“ Vier Autos mit Rechtsradikalen waren schon da, die Lage zu erkunden. „Wenn die kommen, ist es aus“, sagt die nachdenkliche 20jährige Doreen Zweig. Sie hat Mitleid mit den Flüchtlingen: „Ich würde auch abhauen, wenn es mir zu Hause so schlecht ginge, wie denen.“

Aber es gibt auch die, die ihre klammheimliche Vorfreude auf Kleinrostock in Goldberg nicht verhehlen können — wie ein Kellner, der selbst per Funk „die Szene aus Brandenburg ranholen“ will, wenn die AsylbewerberInnen erst mal da sind. „Ich garantiere, von den Goldbergern geht keine Gewalt aus“, hatte der Bürgermeister gesagt. Auf dem Acker vor der künftigen ZAST-Außenstelle stehen Treckeranhänger, Bauwagen und Holzbarrikaden bereit. Ein mit Schotter beladener Sattelschlepper wird noch erwartet. Wenn vermutlich am Wochenende der erste Bus mit AslybewerberInnen anrollt, wird die Zufahrt dichtgemacht: „Soll die Polizei uns doch wegtragen.“ Die sechste Nacht sind die BlockiererInnen jetzt hier. Auf ihren Tansparenten steht: „Durchgangslager ist Goldbergs Tod“, „Arbeit statt Asylanten“ und „Goldberg ist nicht Rostock“. Gelegentlich kommt einer der drei Goldberger Polizisten vorbei und trinkt einen Kaffee. Der Holzvorrat fürs Lagerfeuer reicht noch lange.

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