piwik no script img

Bis auf die Knochen

■ Margit Carstensen, nach 20 Jahren zurück in Bremen, über das Glück der Anstrengung und das Spielen gegen Empörungsstürme

In den Sechzigern war sie schon mal am Bremer Theater, spielte bei Minks und Faßbinder und drehte mit letzterem zahlreiche Filme (u.a. „Chinesisches Roulette“). Seit 1983 arbeitet sie kontinuierlich mit Hansgünther Heyme; jetzt kehrt sie mit ihm nach Bremen zurück.

Ist Ihnen bang gewesen vor der Stadt?

Nein, gar nicht. Bremen bedeutet für mich ja: Heyme. Es könnte ebenso eine andere Stadt sein, wenn ich nur mit ihm arbeiten kann. Die Stücke, die er wählt, sein politisches Herangehen, das ist es, wofür ich mich entschieden habe. Ich hätte sonst ernsthafte Schwierigkeiten, ein Leben lang meine Art von Arbeit zu rechtfertigen. Es ist ja auch oft ein ziemlich albernes Geschäft, Theater zu machen.

Eine Frivolität?

Ach, wenn man sich lebenslang mit sich selber beschäftigen will, muß das schon nützlich sein. Das ist einfach mein Wesen.

Üben Sie diese Haltung auch außerhalb des Theaters aus?

Leider ist es so, daß der Beruf mein ganzes Leben ist. Mein Privatleben hab ich sehr vernachlässigt, zum Teil verloren. Wenn man also dort keine Rechtfertigung hat für sich selbst...Nein, das soll schon Sinn haben. Und eine Form - die ich nun mal am ehesten bei Heyme finde, eine Fassung, in der ich spielen kann, und dann am liebsten furchtbar chaotische Menschen.

Immer noch?

Höchstens noch ein bißchen genauer und rücksichtsloser.

Gegen wen? Notfalls auch das Publikum?

Ach, ich möchte nicht gerade gefallen, aber mich doch verständlich machen. Die Leute sollen ja am Denken Spaß haben.

Früher haben Sie mal erzählt, wie wonnevoll es war, mit Hey

Margit Carstensen: „Ich hatte noch nie den Wunsch, einfach akzeptiert zu werden“Foto: Susanne Brügger

me gegen Empörungsstürme anzuspielen.

Ja sicher, das fördert das Lebensgefühl. Ich hatte noch nie den Wunsch, so einfach akzeptiert zu werden. Wenn sich jemand empört, denke ich: da lebt etwas, das ist ein Anfang, das schmeichelt mir. Erst recht, wenn schon in der nächsten Aufführung die Leute begeistert sind. Ich will ja nun wirklich keinen Mißerfolg, son

hierhin bitte das Foto

mit der ernsten

Frau

dern das Gegenteil.

Könnten Sie es zwanzig Jahre ertragen, sich's mit den Leuten schwer zu machen?

Hab ich ja. Aber heute findet man kaum mehr Kerben, in die man schlagen kann. Vielleicht muß man ein wenig zurück zur hohen Kunst.

Zum Oberstudienrat?

Nein, gar nicht elitär. Zum Anspruch, zur Anstrengung. Das

aber müssen die Leute schon wollen. Für mich ist ja Anstrengung ein beglückender Zustand, ein Außersichsein, wie man's sonst nur selten hat.

Was spielen Sie in Bremen als nächstes?

Im Februar fange ich mit den Proben an für ein Stück, das dann bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt und in der nächsten Spielzeit nach Bremen übernommen werden soll: „Die Odyssee“, Auszüge aus dem Homer, inszeniert von Heyme als Stück ohne jede Dramatik. Odysseus' Rückkehr, ein alterndes Paar; ich spiele die Penelope.

Sind Rollen denkbar, die Sie scheuen?

Die Phädra. Die Phädra möcht ich schon lange mal machen, weil es ein so schwieriges, ein scheußliches Stück ist. Langweilig auf der Bühne, nicht auszuhalten. Aber man müßte das hinkriegen, daß es nur über innere Vorgänge zu leben anfängt. Ich schätze es sehr und denk mir, es müßte doch gelingen, daß sich das Publikum über dieses Stück aufregt. Regie wird wohl Christoph Schlingensief führen; der hat bisher nur sehr chaotische Filme gedreht.

Der mit dem „Kettensägenmassaker“? Haben Sie's gern so schwer wie möglich?

Ja! Wenn wir etwas zu leicht fällt, dann mißtraue ich der Sache.

Haben Sie gelegentlich Sehnsucht nach dem Gegenteil? Mal loslegen?

Wieso? Das blindwütige Rumtoben ist nichts für mich. Aber auch ich lebe doch in Wirklichkeit nur von der Intuition. Ich muß die Rolle erst denken, damit sie richtig angesiedelt ist, aber dann spiele ich los. Das ist ein wenig, wie wenn ich nach Hause käme: Da kann ich mich endlich und völlig frei, ohne jeden Gedanken, in die Rolle werfen. Da durchlebe ich alle elementaren Erlebnisse. Die hat man ja nicht nur, wenn man blind ist. Nein, ich habe alle Erlebnisse, die ich brauche. Aber nur, wenn ich es vorher minutiös und gründlich durchdacht habe. Warum sollte ich zurückgehen in den Zustand der Dummheit? Ich wünsche mir allerdings, daß sich mein Spielen auf der Bühne immer noch mehr ablöst von jeder Anstrengung; manchmal kann man ja auch nicht mehr. Es ist ja längst ein Ergebnis, was da vorgeführt wird, kein Rumtappen mehr.

Wo Tappen war, soll Schreiten werden?

Sie sollten mich mal beim Proben sehen. Da bin ich in einem Zustand, das ist sagenhaft. Da bin ich so konfus und am Rumstottern wie niemand sonst. Die andern kommen doch meist mit Vorstellungen an und mit Spielweisen, die sie für günstig erachten; ich muß immer bei Null anfangen, ich habe auch nicht den blassesten Schimmer von etwas, ich stammle und hasple und mach jeden Tag was Neues. Ich gehe, anders gesagt, jedem Regisseur, der damit nicht leben kann, ungeheuer auf die Nerven. Auch etwas, das für Heyme spricht. Mit ihm kann man in aller möglichen Ruhe die erste Improvisation, die ja meist schon die beste war, zurückholen, neu entwickeln und damit erst wiederholbar machen: spätestens auf der Premiere.

Geradezu eine Läuterung.

Die ganz normale Probenarbeit. Umso mehr wundert es mich, warum ich so gerne für überaus kompliziert gehalten werde. Dabei bin ich so besonders einfach. Ich denke doch nur gründlich und muß, was ich mir denke, sofort zur Sprache bringen; das ist alles. Vielleicht verstört es ein wenig, daß ich den Mut habe, mich dabei zu blamieren. Auf jeder Probe blamiere ich mich bis auf die Knochen.

Fragen: Manfred Dworschak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen