■ Gastkommentar: Kalkulierter Schlag
Daß einer, dem einmal Fraktion. Senat und Partei gefolgt sind, zum politischen Wurschtelzwerg verkommen sein soll, glaube ich nicht. Natürlich hat Wedemeier gewußt, welches Ampelchaos er anrichtet, als er der Vorlage des Innensenators diese qualvolle Abstimmungsgarotte anlegte und den Senat erst aus dem Saal ließ, nachdem die Position des liberalen van Nispen vom Tisch war. Wer gegen jede gute Senatstradition verstößt und Abstimmungen in der gleichen Sitzung wiederholen läßt, bis sie genehm sind, weiß, was er tut.
Und wenn wir schon Wedemeier kein Chaotentum unterstellen, dann auch nicht Jäger und Fücks, die nicht zu den Senatsdummköpfen zählen. Der eine wußte, warum er gegen die liberale und richtige Position seines Parteifreundes gestimmt und der andere, warum er nicht die Notbremse gezogen hat. Black out ist kein politischer Zustand, und schon gar nicht bei Fücks, der einige Abstimmungsrunden Zeit hatte, über das irrwitzige Verfahren nachzudenken, der aber längst Bescheid wußte.
Nachdem die SPD-Fraktion in ihrer niemanden überraschenden Ratlosigkeit und mit Unterstützung der Fraktionsspitze auf die Hurenhatz als einzigen Ausweg verfiel, blieb Wedemeier nur noch die Freiheit, den Ort seines Scheitern zu wählen: Fraktion oder Ampel. Nach seinem Selbstverständnis war es klüger, mit der populistischen Fraktionsmeinung in der Ampel zu scheitern. Dieser Abgang war seinem Image in der Öffentlichkeit und allem, was folgt, zuträglicher. Die ein Jahr im Ampelfahrstuhl in die Tiefe gesauste SPD scheißt auf grüne Skrupel und differenzierte Liberale. Sie will Befreiungsschläge. Recht hat sie, loben alle, denen die schwierige Ampelbalance ein Greuel und das schlichte CDU- Denken angemessener ist.
Diesmal ist die Ampelkatastrophe ausgeblieben, weil Jäger und Fücks, jeder auf seine Art, geholfen haben und ein Drittel im Senat fehlte. Glück hat auf die Dauer aber nur der Tüchtige. Wedemeier ist noch einmal davon gekommen. Der Koalitionsausschuß wird kitten, weil Grün wegen des Drogenstrichs jetzt nicht die Ampel verläßt. Da sei Fücks vor. Die Hurenvertreibung wird ohnedies nur zu Revierwechsel führen, also sammelt sich die aufgescheuchte Schar am Ende mit oder ohne Senatsbeschluß am Holzhafen und die Polzei wird es zufrieden sein.
Nicht zufrieden dürfen die Koalitionäre sein. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Die Verröchselphase der Ampel dauert an. Grün muß wissen, wie oft es sich noch in die Zäune jagen lassen will. Der Ampel dient nicht, wer dauernd schluckt. Jetzt muß an der richtigen Stelle Stand gehalten werden. Was bekommt Grün eigentlich dafür, daß es die Arbeitssenatorin rettet? Oder seid ihr schon so weit, daß ihr keine Preise mehr nennen dürft?
Thomas Franke
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