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Die EG probt die Einmütigkeit

Beim Gipfel der zwölf Staatsmänner in Birmingham steht die vielverlangte „Bürgernähe“ im Zentrum der Diskussionen  ■ Aus Birmingham Dorothea Hahn

„So etwas passiert uns nur einmal in 100 Jahren“, jubilierte vor einigen Tagen der Chef der Birminghamer Stadtverwaltung, Roger Taylor, vor Hoteliers und anderen Geschäftsleuten. Jahrelang hatte die vom Niedergang der Autoindustrie gebeutelte mittelenglische Millionenstadt nur kleinere Messen und gelegentlich ein paar nationale PolitikerInnen beherbergt. Dann kündigte sich vor drei Wochen dieses Großereignis an mit zwölf Regierungschefs, ebenso vielen Außenministern und Tausenden von BegleiterInnen, BeobachterInnen und JournalistInnen. Der gestrige EG-Krisengipfel mußte den „Brummies“ einfach wie ein Geschenk des Himmels erscheinen.

In aller Eile trimmten sie die Stadt auf europäisch. Birmingham, das mit seinen 427 Wohntürmen mehr Beton im Stadtbild hat als irgendein anderer britischer Ort, war gestern in ein Meer aus blauen Wimpeln mit Sternen getaucht. Kaum eine Straße, kaum ein Schaufenster war der Dekorierwut entgangen. Für einen Tag verschwanden sogar die „For Sale“- Schilder von den Immobilien. Ähnlich wie Hollands Maastricht, das trotz aller Kritik an den dort vor einem Jahr unterzeichneten Verträgen berühmt geworden ist, hofft Birmingham auf einen Platz in den Annalen der EG.

Damit war die Stadt entschieden optimistischer als ihre Gäste. Mit zusammengekniffenen Lippen, grimmigen Mienen und wortkarg waren die morgens vor dem nagelneuen Kongreßzentrum aus ihren Luxuslimousinen gestiegen. Der Däne Schlüter, der Deutsche Kohl und der Portugiese Cavaco Silva plauderten beim Fototermin mit ihrem Gastgeber. Frankreichs Präsident Mitterrand hingegen und der – ebenfalls französische und sozialistische – EG-Präsident Delors brachten dagegen kein Wort über die Lippen. In den vergangenen Tagen hatten beide die britische Regierung ob ihrer Bremspolitik mehr oder weniger unverhohlen kritisiert.

Dennoch waren sie gestern alle nach Birmingham geeilt, um Major beizustehen, der inzwischen nicht mehr sicher sein kann, daß er die Maastrichter Verträge im Unterhaus fristgerecht bis zum Jahresende durchbringen kann. Angesichts der europaweiten Kritik an der mangelnden Transparenz in der EG hatte Major vorgeschlagen, jeder Staats- und Regierungschef solle fünf Minuten vor laufenden Fernsehkameras sprechen. Seine Kollegen winkten ab. Wie gewohnt fand das Treffen hinter geschlossenen Türen statt.

Anders als bei früheren Gelegenheiten flogen dabei jedoch scheinbar nicht die Fetzen. Den EG-weiten Zerfallserscheinungen und den Ängsten vor der Europäischen Union wollten sie demonstrative Einmütigkeit entgegensetzen. Alle konfliktträchtigen Themen – von der Krise des Europäischen Währungssystems über die Gatt-Verhandlungen mit den USA bis hin zu den Forderungen der Südländer nach mehr Ausgleichszahlungen aus dem wohlhabenden Mitteleuropa – blieben ausgeklammert.

Gastgeber Major hatte die Runde mit der Aufforderung eröffnet, ein „Signal des Vertrauens“ zu geben. Seine Nachredner bemühten ein ums andere Mal die Stichworte „Transparenz, Demokratie, Subsidiarität und Bürgernähe“. Da habe die Gemeinschaft Nachholbedarf, der jetzt erfüllt werden sollte. Tacheles redeten die Herren (Damen kamen im Sitzungssaal nur als Beraterinnen und Übersetzerinnen vor) dennoch nicht: Alle drückten sich vor einer Definition der drei Prinzipien, mit denen sie die gegenwärtige Malaise der EG bekämpfen wollen. Der Grund: Die Europavisionen der Teilnehmer sind ganz unterschiedlichen nationalen Interessen verpflichtet. So versteht die britische Regierung unter „Subsidiarität“, daß Brüssel möglichst wenige Entscheidungen fällt. Kommissionspräsident Delors und die Vertreter der kleineren Mitgliedsländer hingegen meinen mit „Subsidiarität“ eine Stärkung der EG-Institutionen und keine Rückverlagerung gegenwärtiger EG-Kompetenzen in nationale Hände.

Ein wenig aus der Reihe fiel nur Schlüter. Er erinnerte seine Kollegen daran, daß nicht nur in Dänemar 40 bis 50 Prozent der BürgerInnen die Maastrichter Verträge mit Skepsis verfolgen, sondern dies überall in Europa ähnlich sei. Aufgegriffen wurde dieser Gedanke nicht. Sämtliche politischen Entscheidungen verschoben die Staats- und Regierungschefs auf den Gipfel im Dezember in Edinburgh. Bis dahin – so ihr frommer Wunsch – muß alles besser werden. In Edinburgh haben sie schließlich zwei Tage Zeit, und Schottland soll auch noch etwas von der EG haben.

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