: "Das Wort ist die Basis"
■ Zwischen Hotel und Lesung: Ein Porträt des Dichters Asher Reich, zu Gast bei den Israelischen Literaturtagen in Hamburg
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zu Gast bei den Israelischen Literaturtagen in Hamburg
Wo sind sie, die Dichter? Die Dichter sind zu spät. Der erste Leseabend der israelischen Literaturtage in Hamburg rückt näher und jene eingeladenen Schriftsteller und ihre Übersetzer, darunter auch Asher Reich, einer der bekanntesten Dichter der israelischen Gegenwartsliteratur, haben sich im Einbahnstraßengetümmel Hamburgs verirrt. Nachdem Erika Werner, Lektorin in der Zentralbibliothek und Veranstalterin der Literaturtage, immer besorgter nach der Uhrzeit fragt, kann man mit Asher Reich sagen: „Da sind sie, die Dichter, Brüder im Nebel, sie reisen/durch Verszeiten Flugzeiten mit und ohne Brillen/ihre Augen sind am Ort, die Wörter am Ort.“
Auf dem Weg zu seinem Hotelzimmer erzählt er, wie leid er es ist, von einem Hotel ins andere zu ziehen, er sei völlig erschöpft, eine Lesung hier, eine Lesung dort, von einem Symposium in Berlin nach Hamburg. Es ist eine groteske Szene, wie Asher Reich dann, schnell, schnell, eine Zigarette nach der anderen rauchend, rastlos und gehetzt, in einem kargen Hotelzimmer davon erzählt, wie er sich als junger Mensch Gedanken darüber machte, wer Gott ist, was der Mensch gegen Gott ist, der Mensch in der Welt, im Leben. Zu einem Punkt des Zweifelns sei er gekommen, weil er verzweifelt war und in der Situation des Zweifelns zu sein, sei der beste Weg zum Glauben, weil man sich Fragen stellt, so wie die Literatur Fragen stellt.
Die strenge Gläubigkeit jüdisch- orthodoxen Lebens haben ihn als Mensch und als Schriftsteller geprägt: „Ich war ein vom Rauschen des Lebens gereinigtes Kind/ eingeschnürt in die 365 Verbote/entsprechend der Zahl der Tage im Sonnenjahr/der Schrecken aber sind doppelt so viele.“ Dieses auf die Schrift und ihre Gebote reduzierte Leben ist der Reichtum des Lyrikers, seiner Kindheit verdankt er den Glauben an die Kraft der Sprache. Mit 18 Jahren ist er aus jener hermetischen Welt seiner Kindheit und Jugend ausgebrochen, des täglichen Betens müde.
Die Gebete, die er schon mit drei Jahren sprechen konnte, sind reine Poesie, doch das ändert nichts an der totalen Desillusion des einst streng Gläubigen: „Dies ist die Erde, auf der ich, ein Rest/ wie Ödigkeit bin, erlöschend und weiter erlöschend/und der Himmel ist Himmel für Gott“. Das sagt einer, der den Herausforderungen seines Lebens gewachsen sein mußte, der das Lebensgefühl der Gründergeneration des Staates Israel teilt, einer Generation, die den Traum eines Landes für die Juden in Politik verwandelte.
Asher Reich wurde 1937 in Jerusalem geboren, zehn Gedichtbände hat er publiziert, und er wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. In diesem Herbst ist ein Band mit seinen Gedichten beim Rowohlt Verlag erschienen, Arbeiten auf Papier, viele der Gedichte sind von dem Lyriker Christoph Meckel übersetzt.
Auf die Frage, was ihm sein Schreiben bedeutet, sagt er, Dichtung, sei ihm wie anderen Menschen das erste Aspirin, wenn ein existentielles oder substantielles Problem auftaucht, und er erweist sich auch damit als einer, der den Anspruch hat, auf die Wechselfälle seines Lebens pragmatische Antworten zu finden.
Das mag ein Grund dafür sein, daß seine Gedichte einem strengen, seriellen, dennoch einfachen Ordnungsprinzip folgen, das er als junger Dichter für sich gefunden hat. Die erste Strophe eines Gedichtes hat eine Zeile, die zweite zwei, die dritte drei und so weiter. Das ist meine Form der Disziplinierung, sagt er, sowie es früher für andere Dichter die Reime waren.
Immer wieder geht Asher Reich 1
2in seinen Gedichten auf Bilder zurück, die es in Büchern und Museen gibt, Bilder die seiner Erinnerung entsprungen sind. Doch seine Bilder sind aus Wörtern, aus Sätzen gemacht. In der Literatur, auch in der PostComputerZeit, meint er, wird das Wort die Basis sein. In der Bibel, im alten Testament stünde, daß, als Moses die Tora vom Berg Sinai brachte, das Volk die Stimme gesehen hat. Er will sagen, daß wir den Bildern zuhören müssen. Und umgekehrt, lesen Dichter ihre Gedichte, würde man ihre Stimme sehen können.
Eine Matinee in den Kammerspielen wird am Sonntag die Israeli- schen Literaturtage in Hamburg ab-
1schließen. Von den insgesamt sieben Autorinnen und Autoren wird nur einer fehlen: Asher Reich, der ist nach Israel zurückgeflogen und entschuldigt sich damit: „...genug daran//daß ich zur Hälfte hier bin, aufstehe, langsam zur rechten Zeit gehe, wohin/mich die vier Richtungen dieses Morgens führen werden“. Wer will, der mag ihn suchen, den Dichter Asher Reich, finden wird er den im verborgenen Sinn eines Naturgesetzes der Wörter abwesenden Dichter, der forscht, der spielt, der gräbt, damit uns die Sprache etwas preisgibt, das uns und ihn überrascht. Jürgen Abel
Matinee, So. 11 Uhr, Kammerspiele
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