piwik no script img

„Befreier und Befreite" Offener Brief an Buten & Binnen

■ Über die Aufarbeitung einer Vergangenheit

Frau Barbara Johr vom Bremer Institut Film/Fernsehen hat mich gefragt, ob ich in einem Interview von Buten & Binnen von meinen Erfahrungen zum Thema Krieg und Vergewaltigung etwas sagen könnte.

Ich sei zwar nicht die ideale Gesprächspartnerin, da ich nicht vergewaltigt wurde und ich auch nur eine zugereiste Bremerin sei. Leider habe man in Bremen keine solche gefunden.

Ich habe Ja gesagt, Frau Brahms von Buten & Binnen rief an, und wir kamen überein, daß ich folgendes Erlebnis vor der Kamera schildern soll: Im Herbst 1945 fuhr ich mit einer Freundin zu einer Großtante nach Berlin-Köpenick. Sie war nicht zuhause. Die Tochter der Portiersfrau aber bot uns an, in ihrer Wohnung zu warten. Kurz darauf kamen 3 sowjetische Offiziere mit 2 Frauen. Sie verlangten, in das Schlafzimmer gelassen zu werden. Einer kam zurück. Er wollte eine von uns dreien haben. Wir sprangen aus dem Fenster. Die Tochter rannte zur Kommandantur und kam nach kurzer Zeit mit einem einfachen Soldaten zurück, der die Offiziere aus der Wohnung holte und abführte. — Die Kommandantur hatte die Einwohner aufgefordert, Übergriffe sofort zu melden.

Und nun kommt der Verschnitt: Gesendet wurde mein Bericht bis (sinngemäß) „...wir sind alle drei aus dem Fenster gesprungen.“ Schnitt — die Feststellung der Redakteurin, daß mich dieser Film (den ich noch gar nicht gesehen hatte) aufgewühlt habe — Kamera: leidgeprüftes Gesicht. Für diese halbe und dadurch verlogene Geschichte hatte man mich und Frau Johr in eine Laubenkolonie gekarrt und uns in endlosen Gängen — von hinten und von vorn — vorübergehend und entgegenkommend — schweigend im Gespräch vertieft — unter Apfelbäumen über Gartenzäune guckend — gefilmt.

Die FernsehguckerInnen mußten alle der Meinung sein, daß ich vergewaltigt worden bin und die Reporterin es mir durch den Schnitt rücksichtsvoll erspart hat, die Vergewaltigung publik zu machen.

Die Phantasie war angeregt, und nun hatte man doch noch die Frau, die man sich gewünscht hat. In der letzten Woche wurde ich oft von Frauen und Männern auf diese Sendung angesprochen — immer mit dem Ton des Mitleids. Die Richtigstellung, daß ich nicht vergewaltigt wurde, fällt mir schwer, weil ich es vermeiden will, mich von den Vergewaltigten zu distanzieren.

Die Feststellung einer Gesprächspartnerin, daß ich in meinem Theaterstück „Der Widerspenstigen Zerstörung“ meine „Erlebnisse aufgearbeitet“ hätte, veranlaßt mich zu der Bitte, die verbale Vergewaltigung durch B & B wieder gutzumachen. Im übrigen verlange ich für diese schauspielerische Leistung ein Honorar. Mit diesem Honorar möchte ich wenigstens kurze Zeit Urlaub machen können: außerhalb des Sendebereichs von Radio Bremen.

Ernestine Zielke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen