„Wir wollen alle wieder zurück“

■ Muslimanische Flüchtlinge berichten über die Austreibung

Berlin (taz) – Mit einem Dankeschön für die freundliche Aufnahme in Brandenburg endete eine Verstaltung mit bosnisch- muslimanischen Flüchtlingen in Berlin. Dieser Schlußsatz machte es den Zuhörern wieder möglich, durchzuatmen. Denn die Berichte der Flüchtlinge über die Umstände ihrer Austreibung aus ihren Dörfern, über die Konzentrationslager und das Schicksal ihrer Familienangehörigen hatte Spuren der Erschütterung auf den Gesichtern der Zuhörer hinterlassen. Eingeladen von Süd-Ost-Zentrum Berlin und der taz war es diesen Flüchtlingen – die meisten von ihnen Bauern und Arbeiter aus Nordbosnien, aus der Gegend um Prijedor und Bosanski-Novi – erstmals möglich, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen.

So ein ehemaliger Schaffner aus Bosanski Novi, der, wie alle Flüchtlinge, seinen Namen aus Rücksicht auf Familienangehörige, die noch vor Ort sind, nicht nennen wollte. Der Terror begann damit, daß Mitte Juni die Gehaltszahlungen für Muslimanen eingestellt wurden. Einige Tage später begann Artillerie auf die Wohngebiete der Muslimanen zu schießen, viele flohen in die Wälder. Wer in den Kellern ausgeharrt hatte, wurde von den Soldaten der serbischen Armee zusammengetrieben. Drei der Mitgefangenen wurden weggeschafft und getötet. Die anderen brachte man in ein Fußballstadion, einige der Männer, vor allem Mitglieder der örtlichen Intelligenzija wie Lehrer, Pfarrer, Rechtsanwälte und Ärzte wurden abgesondert und in einem Hotel gefoltert. Nach vier Tagen im Stadion konnten die Gefangenen wieder in die Stadt zurück. An den Häusern mußten sie weiße Fahnen anbringen, „damit die Freischärler wußten, welche Familien sie ausrauben durften“. Autos wurden konfisziert, elektrische Geräte geraubt, Telefone gekappt. Von 18 Uhr bis 6 Uhr morgens herrschte Ausgangssperre. „Grundlos wurden Männer in die Keller gebracht, wo viele verschwanden.“ Lebensmittel aus Hilfsgütern der Vereinten Nationen wurden in der serbischen Kirche verteilt, Muslimanen und Kroaten hatten keinen Zutritt. Endlich stellte die UNO einen Konvoi nach Karlovac in Kroatien zusammen, dem der Zeuge sich anschließen konnte.

Eine besondere Rolle spielten die „Spezialeinheiten“, erklärte ein anderer Flüchtling aus Bosanski Novi, „das waren die Schlimmsten“. Für viele war die größte Enttäuschung das Verhalten der serbischen Nachbarn. „Einige machten sogar bei den Spezialeinheiten mit.“ Eine Frau aus Prijedor beschrieb ihre Flucht aus dem Dorf Kosarac mit Kindern und Schwiegermutter: Ein Nachbar, der über 18 Jahre Arbeitskollege ihres Mannes gewesen war, hatte sie mit Gewalt aus ihrem Haus herausgetrieben und mit dem Gewehrkolben traktiert. Die Familie landete schließlich im Konzentrationslager Trnopolje. „Am schlimmsten war es für die Mädchen, eine 14jährige Nachbarin wurde tagsüber rausgeholt, Sie können sich vorstellen, was mit ihr passiert ist.“ Andere Gefangene des Lagers Trnopolje sprechen von dem Gras, das sie essen mußten, um in den Lagern zu überleben. Auch wer sich schließlich einem Konvoi nach Kroatien anschließen durfte, war nicht außer Gefahr. Auf der langen Fahrt gab es nichts zu essen und zu trinken, weitere Kleinkinder starben. „Endlich ließen sie uns aus den Viehwagen und trieben uns durch Dornensträucher, so daß wir ganz zerkratzt und blutend die kroatische Seite erreichten.“

Nicht Haß spüre er, sondern Traurigkeit, sagt einer. Das schöne, geliebte Bosnien sei nun zerstört. „Ich möchte zurück in ein Bosnien, in dem alle Nationen friedlich zusammenleben.“ Die anderen stimmen zu: „Wir wollen alle zurück.“ Aber ob Bosnien jemals wieder so sein wird, wie es war, bezweifeln auch sie. In einem Bosnien der ethnischen Kantone sähen sie ihr Dorf nicht wieder. Erich Rathfelder