piwik no script img

Ist die ganze Hauptstadt ein Bordell?

■ Realsatire um asexuellen ehemaligen Berliner Bezirksbürgermeister nimmt kein Ende/ Journalist wegen „Beleidigung“ zu einer Geldstrafe von 1.600 Mark verurteilt

Der Welt erster Fall von Hetero-„Outing“ beschäftigte gestern zum sechsten Mal die Berliner Gerichtsbarkeit. Vor dem Landgericht Berlin hatte erneut die Frage geklärt werden müssen: Was darf Satire? Und: Wie beleidigt kann die Sexualität eines Asexuellen sein? Die Verurteilung des Journalisten Micha Schulze zu einer Geldstrafe von 1.600 Mark wegen „Beleidigung“ stellt einen neuen Höhepunkt im Streit zwischen dem ehemaligen CDU-Bezirksbürgermeisters Baldur Ubbelohde und dem Journalisten dar. Ubbelohde war von Schulze in einer Satire in einer Wahlkampfzeitung der Alternativen Liste (AL) als Hetero geoutet worden. Der Vorsitzende Richter lobte Micha Schulze in der gestrigen Urteilsverkündung zwar als Mann von „vorzüglicher Intelligenz“ und „hervorragenden Journalisten“, sah aber in der umstrittenen Satire aus dem Jahre 1989 eine „Besudelung jenseits des politischen Anliegens“ sowie einen „Ehrangriff“ gegeben. Der Tucholsky-Ausspruch „Satire darf alles“, so der Richter, „gehört nicht in die Demokratie, sondern in die Anarchie“. Das Persönlichkeitsrecht müsse zugunsten Ubbelohdes gegen die Kunstfreiheit abgewogen werden.

Schulze, dem auch die Kosten des Verfahrens aufgebürdet wurden, erklärte gemeinsam mit seinem Verteidiger Wolfgang Wieland, daß man in die Revision gehen werde. Wieland sagte zudem, „daß die Sache nach Verfassungsgericht riecht“. Der 25jährige Schulze, früher AL-Politiker und offen schwuler Abgeordneter in Charlottenburg, hatte im Jahre 1989 in einem satirischen Wahlkampfartikel die Frage gestellt: „Ist Baldur hetero?“ Ubbelohde, der ansonsten „als anständig schwuler Politiker und Mensch“ bekannt gewesen sei, hieß es weiter in der AL-Zeitung Stachel, sei „in einem einschlägig bekannten heterosexuellen Etablissement in Zehlendorf“ gesichtet worden. In einer „Reinickendorfer Videothek“ habe er „drei Filme heterosexuellen pornographischen Inhalts ausgeliehen“, auch gebe es Hinweise auf eine mögliche „Ehe und Vaterschaft“. Kurz und gut: „Ein heterosexueller Bürgermeister jedenfalls ist für Charlottenburg untragbar.“ Obwohl mit der Satire nur die diskriminierende Wirklichkeit auf den Kopf gestellt werden sollte, ließ Ubbelohde die AL-Zeitungen beschlagnahmen. Zusätzlich gab der Ex-Bürgermeister eine inzwischen legendäre eidesstattliche Erklärung ab. Er sicherte zu, daß er „weder homosexuell, schwul noch heterosexuell“ sei. Dann klagte er zivil und forderte 20.000 Mark Schmerzensgeld.

Auch die Staatsanwaltschaft trat nach der polizeilichen Beschlagnahme des Großteils der Wahlkampfzeitungen zur Verteidigung der patriachalen Ordnung an. Im Zivilverfahren mußten der Journalist Schulze und die AL schließlich in zweiter Instanz 10.000 Mark berappen; die AL setzte den Zivilstreit nicht fort.

Im Strafverfahren kam es zu zwei Freisprüchen, doch Ubbelohde und die Staatsanwaltschaft legten Revision ein. Darauf hatte das Kammergericht im Frühjahr entschieden, das Verfahren an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Das Landgericht nämlich habe nicht genau genug geprüft, ob auch „eine offenkundige Satire“ ins Persönlichkeitsrecht eingreife.

Daß die Satire ein „offensichtlicher Ulk“ ist, räumte das Landgericht gestern ein. In einer recht absurden Form von „Doppeldenk“ meinte der Richter aber auch, daß in den Details eine „offensichtliche Verspottung“ vorliege. Über einen Familienvater wie Baldur Ubbelohde dürften Einzelheiten wie die vom „heterosexuellen Etablissement“ und den „Videocassetten pornographischen Inhalts“ nicht ungestraft verbreitet werden. Das Etablissement werde eindeutig als „Bordell“ wahrgenommen.

Na denn: Wenn jedes „Etablissement“ gleich ein Puff sein soll, dann ist die Hauptstadt mit ihren vielen Eckkneipen wohl in Gänze ein Bordell.

Hans-Hermann Kotte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen