■ Zur Aufgeregtheit über einen Rostocker Lokalpolitiker: Dumme Fragen müssen erlaubt sein
Nun soll der Rostocker Politiker, der von Ignatz Bubis wissen wollte, ob dessen eigentliche Heimat nicht Israel wäre, aus der CDU ausgeschlossen werden, nachdem er bereits alle Parteiämter niedergelegt und seinen Sitz im Stadtparlament geräumt hat. Bevor der Mann auch noch ausgebürgert oder zur Rehabilitation in einen Kibbutz geschickt wird, sollten wir einen Moment lang innehalten, Luft holen und nachdenken. Was ist passiert? Ein Kommunalpolitiker hat eine dumme, ressentimentgeladene Frage gestellt, Bubis hat klug und angemessen reagiert, indem er darauf hinwies, daß Einstein den Nobelpreis als Deutscher bekommen hat, aber als Jude Deutschland verlassen mußte.
In einem normalen Land könnte man damit den Vorfall ad acta legen. Nicht aber in einer Republik, in der sich der Stammtisch-Antisemitismus im Westen mit dem verbindet, was im Osten vom staatlich organisierten Antizionismus übriggeblieben ist. In der DDR waren nur tote Juden gern geduldet, Opfer des Faschismus und Helden des Widerstandes. Die Lebenden standen automatisch im Verdacht, „Zionisten“ zu sein, Agenten einer Großmacht, die den Weltfrieden gefährdete.
Nun muß es einem in der DDR sozialisiertem Politiker schwerfallen zu begreifen, daß „Jude“ und „Zionist“ nicht identische Begriffe sind, daß aber fast alle Juden – religiöse oder weltliche, linke oder rechte – eine nur aus der Geschichte zu verstehende, sentimentale Beziehung zu Israel haben, daß sie Israel im spirituellen Sinn als ihre „eigentliche“ Heimat betrachten. Was sie nicht daran hindert, in ihren faktischen Heimaten loyale Staatsbürger zu sein. Es muß erlaubt sein, dumme Fragen zu stellen, und es muß möglich sein, Antworten zu geben, die über 2,2 atü moralischer Entrüstung hinausgehen. Irgend jemand aus der Riege der Empörten hätte dem Rostocker Abgeordneten ruhig und freundlich sagen können, daß die Nürnberger Gesetze nicht mehr in Kraft sind und daß Juden nicht die einzigen sind, die eine „zweite Heimat“ mit sich herumtragen. Für gläubige Kommunisten war einmal die Sowjetunion das Paradies auf Erden, für gläubige Katholiken liegt im Vatikan das Zentrum moralisch-politischer Autorität. Die Sache ist ein wenig komplizierter, als es die mecklenburgische Gemeinde-Ordnung zuläßt. Trotzdem ist sie zu vermitteln. Und was das selbstgerechte linke Geheul drüber angeht, daß der Antisemitismus wieder salonfähig wird, so wäre hier ein Griff an die eigenen Weichteile zu empfehlen. Wenn irgendwer den Antisemitismus in der Bundesrepublik salonfähig gemacht hat, dann waren es „Linke“. Kann sich noch jemand an das hübsche Wahlplakat der AL zum Bauskandal vor ein paar Jahren erinnern? Es zeigte, was ein Zufall, eine Judenfresse wie aus dem Stürmer. Und Ende Juli, als Bubis zum Vorsitzenden des Zentralrates gewählt werden sollte, erschien in der taz ein Brief von Jutta Oesterle-Schwerin. Die Ex-Grüne-Abgeordnete stellte in aller Unschuld die Frage: „Muß jeder zukünftige Repräsentant der Juden in Deutschland ein Häuserspekulant sein?“ und gab sogleich die ebenso unschuldige Antwort: „Eine Zierde ist das, mit Verlaub, nicht gerade.“
Wie schade, daß Frau Oesterle-Schwerin kein Amt innehat, von dem sie zurückgetreten werden könnte. Henryk M. Broder
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