Die CSU auf dem Weg ins Abseits

Sichtlich nervös geht die CSU-Spitze in den Nürnberger Parteitag/ Erschreckend gute Umfrageergebnisse für die „Republikaner“ diktieren den Trend der Bayernpartei nach rechts  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

„Auch wir werden politisch verfolgt von den Grünen und der SPD und haben deshalb noch lange keinen Asylanspruch.“ Daß Otto Wiesheu, einst Generalsekretär der bayerischen CSU und jetzt Staatssekretär im Kultusministerium, schon im Vorfeld des 56. CSU-Parteitages in Nürnberg zu Stammtischparolen greift, zeigt, wie nervös die Christlich-Sozialen geworden sind. Die CSU geht schweren Zeiten entgegen. Jahrzehntelang gewohnt, im Freistaat Bayern absolute Mehrheiten einzufahren, in der Bundespolitik oft das Zünglein an der Waage, muß die CSU heute ernsthaft bangen, 1994 in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen.

Nach neuesten Umfragen rangieren die „Republikaner“ in Bayern derzeit zwischen 15 und 20 Prozent, die CSU tendiert gegen 40 Prozent. Ein solches Ergebnis bei den Europawahlen im Juni 1994 und der erfolgsgewohnten CSU bleibt im Europaparlament nurmehr die Zuschauerrolle. Bei den folgenden Landtagswahlen im Oktober 94 in Bayern steht dann ihre Alleinherrschaft auf dem Spiel. Bei den Bundestagswahlen schließlich stehen die Chancen der Christlich-Sozialen mit ihrem maroden Bündnispartner im Osten, der Deutschen Sozialen Union, denkbar schlecht. Immer mehr DSU-Mitglieder und Funktionäre laufen mittlerweile zu den Reps über. Angesichts solcher Perspektiven entpuppt sich das Nürnberger Parteitagsmotto „Bewährtes sichern – Neues meistern – Mutig entscheiden“ als bloßer Wunschtraum. Mit einem Ruck nach rechts versuchen Parteichef Theo Waigel und Ministerpräsident Max Streibl, den Dammbruch am rechten Rand zu stoppen. „Die Wahlen 1994 werden rechts von der Mitte entschieden“, hatte Theo Waigel die Devise ausgegeben und den Überlebenskampf der CSU eingeläutet. Der Versuch des bayerischen Umweltministers Peter Gauweiler, mit rechtspopulistischen Parolen („Gegen die Esperanto-Währung“) der Schönhuber-Partei die Anhänger abspenstig zu machen, und der Entschluß des bayerischen Ministerpräsidenten, der Berliner Großdemonstration für die Würde des Menschen lieber eine Kneipp-Kur vorzuziehen, liegen exakt auf dieser Linie. Dazu paßt auch die klare Weigerung Waigels, auf dem Parteitag in Nürnberg – ähnlich wie die Schwesterpartei – einen Unvereinbarkeitsbeschluß zu rechtsradikalen Parteien zu fassen.

„Solche Haltung gefährdet auf Dauer die Partei und, solange sie die absolute Mehrheit hat, auch unser Land“, kritisierte Bayerns ehemaliger Innenminister Bruno Merk seinen Parteichef. „Unduldsame Selbstgerechtigkeit“, schrieb er der CSU ins Stammbuch. Zusammen mit anderen Mitgliedern hält Merk die spektakuläre Demonstrationsabsage für den ersten Schritt ins politische Abseits. Doch solche Kritik hat auf dem Parteitag in Nürnberg nichts verloren, denn die CSU will auch weiterhin Geschlossenheit demonstrieren.

Knapp 1.100 Delegierte sollen denn auch nach dem Willen des Parteivorstandes in der Nürnberger Halle nicht wie geplant über das neue Parteiprogramm entscheiden. Es bestünde noch immenser Diskussionsbedarf, verkündet Innenminister Edmund Stoiber in seiner Funktion als Vorsitzender der Grundwertekommission der Partei. Daß das neue Grundsatzprogramm insbesondere bei den CSU-Rechtsaußen auf harsche Kritik stößt, verschweigt Stoiber geflissentlich. Daß sich die CSU zukünftig auch Atheisten oder Moslems öffnen will, daß die CSU der gesellschaftlichen Realität Rechnung trägt und sich auch mit den Problemen von unverheirateten Paaren beziehungsweise Alleinerziehenden beschäftigen will, ist den Fundamentalisten ebenso ein Dorn im Auge, wie die Forderung, die CSU müsse auch den Frauen zugestehen, Karriere im Berufsleben als Lebensziel zu definieren. Doch in Zeiten, in denen es der Partei darum geht, die Abwanderung zu den Reps zu stoppen, scheut man die Diskussion um eine liberalere, weltoffenere CSU.

Dementsprechend will die CSU in Nürnberg ihre Hardliner-Position in der Asylfrage zementieren. Gemäß dem Leitantrag des Parteivorstandes soll das Grundrecht auf Asyl durch eine „Institutionelle Garantie“ ersetzt werden. Statt des Rechtsweges stünde den Flüchtlingen dann nur mehr der Weg zu einer Beschwerdekommission offen. Manchen Parteigliederungen gehen diese Forderungen nicht weit genug. So fordern Delegierte der Jungen Union Oberbayern, daß Flüchtlinge bei „Fehlverhalten“ auch dann abgeschoben werden können, wenn die Verhältnisse in ihrer Heimat nicht als gesichert gelten. Sammelunterkünfte müßten demnach „nicht notwendigerweise mitteleuropäischen Maßstäben“ entsprechen. Im Arbeitskreis „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ werden dann die CSU- Hardliner Stoiber und Gauweiler über die „Grenzen der Belastbarkeit“ referieren und die Frage beantworten: „Wie viele Kulturen vertragen unsere Städte?“