: Der Held des Prager Frühlings ist tot
Alexander Dubček erlag am Samstag Verletzungen, die er sich bei einem Autounfall zugezogen hatte/ 1968 und 1989 kämpfte er für einen menschlichen Sozialismus ■ Von Sabine Herre und Erich Rathfelder
Was waren das doch für Tage, die Tage der „samtenen Revolution“ im November 1989 in Prag. Als das Präsidium der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei den kollektiven Machtverzicht übte und Tausende bis in die späten Abendstunden siegestrunken auf den Prager Plätzen tanzten, umarmte Václav Havel auf der Bühne der „Laterna Magica“ Alexander Dubček. Dieses Bild gehört zu denen, die man nicht vergessen kann. Und dieser Augenblick gehört zu den Sternstunden zweier Politiker, die beide auf unterschiedliche Weise zum Symbol geworden waren.
Alexander Dubček, der „Sozialist mit dem menschlichen Antlitz“, der Humanist, der Mann aus dem kommunistischen Apparat, der seit zwanzig Jahren Kaltgestellte, umarmte jenen, der den Widerstand nach 1968 trug, den Pragmatiker, den Schriftsteller Václav Havel. Doch schon während dieser Umarmung wurde deutlich, daß die Zeit des einen vergangen und die des anderen gekommen war. Die Menschen kämpften nicht mehr für einen demokratischen Sozialismus, sondern für Kapitalismus und Demokratie. Ganz folgerichtig wurde der Jüngere Präsident und der Ältere mit einem Ehrenposten bedacht, dem des Parlamentspräsidenten nämlich.
Die große Zeit Dubčeks war 1968. Jahrelang hatten die PragerInnen am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, fähnchenschwingend an „ihrer“ Parteiführung vorbeiziehen müssen. Diesmal stellte sich Dubček an die Spitze des Demonstrationszuges – und winkte den Passanten zu. Das war eine der symbolischen Gesten, die Dubček zur großen politischen Figur machten. Der etwas linkisch und verlegen lächelnde Apparatschik wurde zum politischen Führer, zur Symbolgestalt für eine sich noch mit sozialistischen Impulsen versehene Revolte gegen den Stalinismus. Kaum vier Monate war der Erste Sekretär der KPČ damals im Amt. Das Aktionsprogramm, das die Reform des stalinistischen Systems zum erstenmal konkretisierte, war gerade veröffentlicht worden und elektrisierte die „Massen“. Der Prager Frühling hatte einen seiner glänzendsten Tage.
Für Alexander Dubček, der am 27. November 1921 als Sohn eines Tischlers in Uhrovec in der Westslowakei geboren wurde, dessen Vater die Kommunistische Partei dort mitgründete, der noch vor dem II. Weltkrieg mitsamt der Familie nach Kasachstan zog und dort als Maschinenenschlosser arbeitete, waren die Ideen des Marxismus vielleicht schon damals mehr als bloße Handlungsanweisungen. Noch zeigte sich das nicht, als er 1939 in die illegale tschechische KP eintrat und bis 1944 als Angehöriger einer Partisanenbrigade gegen die Deutschen kämpfte. Und auch später durchlief er die ganz normale Karriere eines Apparatschiks, der 1951 ins ZK der slowakischen KP aufrückte und 1963 als Erster Sekretär der slowakischen KP in die Führungsspitze aufstieg. Erst 1967 profilierte er sich als Kritiker des tschechoslowakischen Parteichefs Novotny. Seine Ideale, sein Glauben an die historische Mission des Kommunismus kollidierten jetzt mit der Praxis der Führung der Partei. War dieser Glaube Antrieb für die Reform hin zu einem geläuterten „demokratischen“ Sozialismus, so sahen viele seiner Freunde gerade diesen Glauben als den Ursprung seiner politischen Naivität. Sein Verhalten nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Armeen der Warschauer-Pakt- Staaten könnte jedoch auch anders interpretiert werden. Sein Zusehen, als ihm die Macht scheibchenweise genommen wurde, zeigte die andere, brave Seite seines politischen Wesens: Er vermochte nicht, sich radikal gegen die Partei und damit gegen die Sowjetunion zu stellen.
Zum Büttel degradiert
27. August 1968. Nach der Unterzeichnung des „Moskauer Protokolls“ – der Kapitulationsurkunde des Reformsozialismus – kehrte Dubček gemeinsam mit der Partei- und Regierungsspitze des besetzten Landes nach Prag zurück. Mit gesenktem Kopf, die Hände tief in den Taschen vergraben, immer wieder sein schüchternes Lächeln zeigend, eilte Dubček durch das Blitzlichtgewitter der Pressefotografen. Wenig später versuchte er – die Tränen nur mühsam zurückhaltend – trotz besseren Wissens der Bevölkerung noch einmal Hoffnung auf eine Fortsetzung des Reformprozesses zu geben. Dubček ließ sich zum Büttel einer ihm fern liegenden Strategie degradieren, er bereitete die Machtübernahme der Neostalinisten vor. Am 17. April verlor er den Posten des Parteichefs der Gesamtpartei an Gustav Husak, als Parlamentspräsident wurde er im September 1969 geschaßt. Als er im Januar 1970 aus dem ZK ausschied, war seine Karriere und der Prager Frühling beendet.
Es kamen die Jahre der „Normalisierung“. Dubček hüllte sich in Schweigen. Erst Ende der 70er Jahre gab er wieder Interviews, in denen er das Programm des Prager Frühlings wie auch später verteidigte. Als Präsident des tschechoslowakischen Parlamentes wehrte er sich 1991 entschieden gegen das sogenannte „Lustrationsgesetz“: Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, Angehörige der Volksmiliz, höhere Funktionäre der KPČ dürften nach diesem Gesetz für die Dauer von fünf Jahren keine Funktionen in der staatlichen Verwaltung übernehmen. Ausnahmen wurden lediglich für eine Tätigkeit in den kurzen Monaten des Prager Frühlings gemacht. Wäre Alexander Dubček nicht gewählt gewesen, auch er wäre unter dieses Edikt gefallen.
Dubček weigerte sich, das Gesetz zu unterzeichnen, und wurde so zum beliebtesten Angriffsziel der rechtskonservativen Prager Presse. Schließlich, so ihre Kommentatoren, war es der gleiche Dubček, der 1969 bereits einmal ein „Säuberungsgesetz“ unterzeichnet hatte. Kein Wort davon, daß er sich damals zwingen ließ. Diesen Fehler wollte er eben nicht noch einmal begehen. Für die Konservativen ist Dubčeks Engagement für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ gleichzusetzen mit dem für den Stalinismus. Dieses Urteil aber hat Dubček wahrlich nicht verdient.
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