Lug und Trug mit dem „grünen Pfeil“

■ Erlaubtes Abbiegen bei Rot: Unfallrisiko wurde nie seriös untersucht/ Haase will Regel dennoch großflächig einführen

Berlin. Die Behauptung, daß mit dem „grünen Pfeil“ im Ostteil der Stadt „gute Erfahrungen“ gemacht wurden, kommt aus dem hohlen Bauch. Denn weder wurde untersucht, wieviel schneller der Autoverkehr durch das erlaubte Rechtsabbiegen bei Rot fließt, noch um wieviel das Unfallrisiko für Autofahrer und Fußgänger steigt. Darauf hat nun der Berliner Fussgängerschutz-Verein FUSS e.V. aufmerksam gemacht.

Nach Angaben von FUSS e.V. gibt die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in einem nichtveröffentlichten Gutachten zu, daß die „Einführung der Grünpfeiltafel nicht auf Ergebnissen wissenschaftlicher Analysen oder Auswertungen des Unfallgeschehens beruhte“. Es gebe nur zwei „methodisch überaus mangelhafte“ Untersuchungen, sagte Bernd Herzog-Schlagk von FUSS e.V. In Dresden seien Blechpfeil-Kreuzungen 52 Stunden und in Berlin seien drei Kreuzungen zehn Stunden beobachtet worden. Der Internationalen Förderation der Fußgängerverbände sei weltweit nur eine einzige umfassende Unfallanalyse bekannt, die wenigstens in etwa vergleichbar sei, berichtet Herzog-Schlagk. Nachdem 1975 in den USA Autofahrern erlaubt worden war, bei Rot grundsätzlich rechts abzubiegen, seien die Verkehrsunfälle um ein Achtel gestiegen, innerhalb von zwei Jahren habe sich die Zahl der Fußgängerunfälle verdoppelt. In Berlin starben 1990 226 Unfallopfer – zwei Drittel waren Fußgänger.

Der Sprecher der Verkehrsverwaltung, Tomas Spahn, bestätigte, daß es zum grünen Pfeil nur die beiden Studien der BASt gibt. Da aber Polizei und Bezirke keine besondere Unfallhäufigkeit an Kreuzungen mit grünem Pfeil gemeldet hätten, gehe die Verwaltung davon aus, daß sich das Unfallrisiko mit dem erlaubten Abbiegen bei Rot nicht erhöhe. Der Verkehrssenator werde deshalb an maximal 300 Kreuzungen in Westberlin das Verkehrszeichen aus der DDR anbringen lassen – ohne zuvor das Unfallrisiko zu untersuchen.

Der Allgemeine Blindenverein Berlin (4.000 Mitglieder) bemängelte gegenüber der taz, daß der Senat weder Blinde noch Behinderte vor seiner Entscheidung gehört habe. Der Verein hält den grünen Pfeil für „lebensgefährlich“. Blinde und sehbehinderte Fußgänger orientierten sich beim Überqueren einer Straße an den Fahrgeräuschen der Autos. Mit der DDR-Abbiegeregel bestehe die Gefahr, daß die Betroffenen bei roter Fußgängerampel auf die Fahrbahn laufen, weil neben ihnen die Rechtsabbieger losfahren. Nach Schätzung des Geschäftsführers Manfred Scharbach sind in Berlin 12.000 Menschen blind oder hochgradig sehbehindert. Dirk Wildt