Portrait: „Hier lebe ich ein leeres Leben“
■ In Sri Lanka wurde Rani J. bedroht, auch in der BRD ist sie nicht sicher
Berlin (taz) – Rani J. lebt seit zwei Jahren in Berlin. Glücklich ist sie hier nicht. 1990 mußte sie aus ihrer Heimat Sri Lanka flüchten, doch auch in Berlin hat die Dreißigjährige Angst, will anonym bleiben. Zu viele srilankische Spitzel, erzählt Rani, halten sich in Deutschland auf. Erst nach langem Zögern erklärt sich die buddhistische Singhalesin zum Gespräch bereit.
„Ich hatte zu viel Angst, konnte nicht mehr arbeiten und war nahe daran, verrückt zu werden“, beschreibt sie rückblickend die letzten Jahre vor der Flucht. Ihr Mann war Journalist und berichtete kritisch über die Politik der Regierung. Rani selbst arbeitete als Dozentin, abends organisierte sie oppositionelle Diskussionszirkel und Lesungen. „Im Norden unseres Landes ist Krieg und im Süden werden Menschen gefoltert. Ich wollte etwas tun!“
Die zierliche Singhalesin ist kämpferisch und selbstbewußt. Aus der lebhaften Erzählerin wird jedoch eine stille Frau, wenn sie an ihre Heimat denkt.
Immer wieder spricht sie von den paramilitärischen Truppen. „Sie kommen in Jeeps ohne Nummernschilder. Einmal habe ich beobachtet, wie sie mehrere Jugendliche in eine Scheune trieben und anzündeten.“ Seit 1983 sind allein 12.000 Menschen in Sri Lanka „verschwunden“, über eine Million sind innerhalb des Landes auf der Flucht.
Nachdem ein Freund der Familie ermordet wurde, bekam Ranis Mann eine Warnung: Als nächster wäre er dran. Er ging in den Untergrund und floh nach Europa.
Für die zurückgebliebene Rani begann der Terror. Regelmäßig bekam sie abends „Besuch“ von bewaffneten Männern. Sie zerstörten Möbel und verbrannten Bücher. „Sie wollten wissen, wo mein Mann ist. Sie drohten, mich zu vergewaltigen und zu töten.“ Viele Frauen von Oppositionellen, erzählt sie, würden vergewaltigt und danach ermordet. Ihre Leichen liegen einige Tage später im Straßengraben. Zur Abschreckung.
Ein Jahr hielt Rani es allein in Sri Lanka aus. „Eine solch schwere Zeit“, sagt sie leise, „hatte ich in meinem ganzen Leben nicht.“ Die ständige Bedrohung setzte sie so unter Druck, daß sie nicht mehr aß, nicht mehr schlief, nicht mehr arbeiten konnte. Sie mußte ihre Stelle aufgeben, war ein psychisches Wrack. „Ich konnte mich nicht mehr bewegen, lag nur noch. Alles tat mir weh.“
Nach zwölf Monaten Nervenkrieg gab sie auf. Eine internationale Frauenorganisation, zu der ihr Mann Kontakt aufgebaut hatte, lud sie zu einem Kongreß nach Deutschland ein. Über die Deutsche Botschaft erhielt sie ein Visum. „Selbst meinen Eltern konnte ich nichts von meiner Flucht sagen.“ Rani reiste mit ihrer Tochter zum Mann nach Berlin und stellte nach ein paar Monaten einen Asylantrag.
Allein 1991 haben 5.623 BürgerInnen Sri Lankas politisches Asyl in Deutschland beantragt. Rund drei Prozent wurden anerkannt. Rani bekam aus „humanitären Gründen“ nur eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung, die Ende 1993 ausläuft.
An ihre Situation in Deutschland kann sich die emanzipierte Frau nur schwer gewöhnen. „Früher habe ich gearbeitet, war nicht nur Hausfrau so wie hier. Mit Freundinnen habe ich stundenlang politisch diskutiert.“ In der ersten Zeit hatte sie Sprachprobleme. Das ständige Vorsprechen auf der Ausländerbehörde beschämte sie. Stundenlang stand sie dort im Winter an, wurde wieder krank. Einmal, sagt sie und weint dabei, sei sie beinah ohnmächtig geworden, als die Beamten die Wartenden brutal zurückdrängten.
„In Sri Lanka war ich zufrieden. Ich hatte meinen Beruf, war politisch aktiv und habe für mein Volk gearbeitet. Hier lebe ich ein leeres Leben.“ Von der Sozialhilfe kann sie mit ihrer Familie mehr schlecht als recht leben.
Was nach 1993 wird? „Ich habe keine Ahnung was ich machen soll. Zur Zeit lebe ich nur.“ Tanja Stidinger
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