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Fötus beendet Klinik-Experiment

■ Der ethisch umstrittene Versuch von Erlanger Medizinern, eine hirntote Mutter ihren Fötus austragen zu lassen, wurde durch einen Spontanabort beendet

Berlin (taz) – Das ärztliche Kommuniqué fiel knapp aus: „Am 16.11.1992 trat bei Marion P. um 00.10 Uhr ein Spontanabort ein. Der Fötus (Leibesfrucht), der bis unmittelbar vor der Abstoßung gelebt hatte, wurde tot geboren. Die Ursache des Spontanabortes bedürfe der Klärung, jedoch haben die Eltern eine Sektion der Mutter und des Fötus abgelehnt.“ Weiter teilten die behandelnden Ärzte der Erlanger Universitätsklinik gestern mit: „Die Beatmung der Marion P. wurde daraufhin eingestellt. Der Hirntod und damit der Tod der Marion P. war bekanntlich bereits am 8.10.1992 festgestellt worden.“

Mit dem „Abgang“ des Fötus geht ein in der Bundesrepublik beispielloses medizinisches Experiment zu Ende. Die schwangere Zahnarzthelferin Marion Ploch aus dem fränkischen Altdorf verunglückte am 5. Oktober mit ihrem Auto. Nach unbestrittenen medizinischen Maßnahmen war die 18jährige tot, die Diagnose „Hirntod“. Ihr Körper – und mit ihm der vier Monate alte Embryo – wurden aber auf der Intensivstation des Erlanger Krankenhauses künstlich am Leben erhalten. Ursprünglich hatten die Eltern verlangt, daß die Maschinen auf der Intensivstation abgeschaltet werden.

Wie der verantwortliche Arzt der Chirurgischen Klinik, Johannes Scheele, erklärte, hätten sie dann aber nach einer Rücksprache mit den Ärzten in den Versuch eingewilligt, den Embryo im hirntoten Körper der Mutter so lange am Leben zu erhalten, bis er mit einem Kaiserschnitt entbunden werden könnte.

Die Erlanger Mediziner stützten sich auf Erfahrungen, die im Ausland, vor allem in den Vereinigten Staaten, gemacht wurden. In fünf Fällen ist es bislang gelungen, den toten Körper schwangerer Frauen so lange am Leben zu erhalten, bis der Fötus weit genug entwickelt war, um auch in einem Brutkasten überleben zu können. Den Rekord halten amerikanische Ärzte, die den Verfall einer hirntoten Frau 107 Tage lang hinauszögern konnten.

Im günstigsten Fall hofften die Erlanger, den Leichnam Marion Plochs 26 Wochen künstlich beatmen zu können – dies wäre als neuer Rekord in die medizinische Fachliteratur eingegangen. Die Chancen für einen erfolgreichen Ausgang des Experiments wurden mit 50:50 angegeben.

Als „Erlanger Baby“ ging der Fall in die Geschichte des bundesdeutschen Journalismus ein. Die Bild-Zeitung ließ ihre LeserInnen per Telefonaktion abstimmen, ob das „Baby im Leichnam“ ausgetragen werden sollte. Umfragen startete auch der Privatsender RTL. In beiden Fällen stimmte eine überwiegende Mehrheit für den Abbruch, das Ausschalten der Maschinen.

Unter Medizinern und Theologen wurde die Frage, ob das Experiment moralisch und ethisch verantwortet werden kann, erbittert erörtert. „Ethisch nicht fahrlässig“ sei der Versuch, das medizinisch Machbare auch in die Tat umzusetzen, meinte etwa der Moraltheologe Franz Furger. Der verantwortliche Erlanger Arzt, Johannes Scheele, erkannte gar: Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sei „der verstorbenen Mutter die Benutzung ihres Körpers zugunsten des Kindes sicherlich zumutbar“. Klinikdirektor Franz Paul Gall assistierte seinem Kollegen: „Das Lebensrecht des Kindes beinhaltet auch den Anspruch auf Einsatz moderner und technischer Hilfen“.

Mit Geräuschen und geeigneter Musik war in der Erlanger Uni- Klinik auch versucht worden, „die für einen Embryo übliche Erfahrungsumwelt annähernd zu schaffen“ (Scheele).

Kritiker, etwa der Klinikseelsorger und Pastor Martin Hagemaier, sprachen sich jedoch gegen eine „maschinengestützte Schwangerschaft“ aus. Hagemaier kritisierte vehement den „Eroberungsfeldzug medizinischer Experimentierfreude“. Gegen Tierversuche, wandte der Pastor ein, gebe es zu Recht öffentlichen Widerstand: „Wie steht es mit Versuchen am Menschen?“

Kritisch kommentiert wurde das Erlanger Experiment auch im Ausland. Die Wiener Psychologin Marianne Springer-Kremser verurteilte beispielsweise das Vorgehen der fränkischen Ärzte als „schamloses Menschenexperiment“. Während der Wiener Gynäkologe Sepp Leopoldter erklärte, „das ist wie eine Leihmutter, die kein Hirn hat“, urteilte Springer-Kremser: „Das ist eine Pervertierung des hippokratischen Eides.“ Und zu welcher Perversion deutsche Hirne fähig wären, „haben wir in diesem Jahrhundert ja schon gesehen“.

Der Tod des „Erlanger Babys“ nimmt für den Augenblick die Schärfe aus der Debatte um die ethischen Implikationen der modernen Apparatemedizin – bis zur nächsten Gelegenheit wenigstens. Wolfgang Gast

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