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"Das Verschwinden der Tat"

■ "Mannege e.V." arbeitet unter anderem mit gewalttätigen Männern / Schlagende Männer sind aggressionsgehemmt / Familiensenator für Erhalt des Projekts

Mitte. Anton drehte durch, als seine Freundin sich in ihre eigene Wohnung zurückziehen wollte, und schlug zu. Benedikt wurde gewalttätig, nachdem seine Frau sich in seinen Augen einen allzu guten Tag gemacht hatte. Christopher prügelte auf seine Geliebte ein, weil sie ihn verlassen wollte. Alltägliche Geschichten – leider. Schon weniger alltäglich war, daß diese Männer mit ihren fiktiven Namen sich für ihre Gewalttätigkeit irgendwie doch schämten. In der „Sprechstunde für Männer in Konflikt-Krise-Gewalt“, die der Verein „Mannege e.V.“ im „Haus der Demokratie“ eingerichtet hat, ließen sie sich beraten und zur Bildung einer Selbsthilfegruppe motivieren. „Diese Männer stehen sich selbst hilflos oder sogar fassungslos gegenüber“, weiß „Mannege“- Psychologe Gerhard Hafner, der schon mehrere Gruppen angeleitet hat. „Sie denken, sie seien modern und aufgeschlossen. Daß sie Gewalt ausüben, paßt überhaupt nicht zu ihrem Selbstbild.“

Der Psychologe begleitet die Männer mindestens ein halbes Jahr lang bei ihren wöchentlichen Sitzungen, danach sollen sie sich laut Selbsthilfekonzept selbständig weiter treffen. Anfangs geht es vor allem darum, wie Gerhard Hafner sagt, „über die eigenen Schmerzen und Verwundungen reden zu lernen“, die sie zuvor über das Attackieren von Schwächeren kompensiert haben. Zum Beispiel eine schwierige Kindheit oder die Überanpassung an die Rolle des Mannes, der sich keine Gefühle erlauben darf. Gewalttätigkeit, so die Erfahrung in der „Mannege“, wurzelt meistens in mangelndem Selbstbewußtsein und mangelnder Kommunikationsfähigkeit. „Männer, die mißhandelt haben, sagen aus, daß sie sich auf der sprachlichen Ebene und damit auch psychisch den Frauen unterlegen gefühlt haben“, heißt es in einer im letzten Jahr von Gerhard Hafner und Christian Spoden erstellten Studie für den Familiensenator. Ihr etwas umständlicher Titel: „Möglichkeiten zur Veränderung gewalttätiger Männer im Rahmen einer Männerberatungsstelle“.

Auch die große Mehrheit der Vergewaltiger, ist dort zu lesen, bestehe nicht etwa aus pathologischen Triebtätern, sondern sei „angepaßt-aggressionsgehemmt“ mit Merkmalen wie: „keine Fähigkeit zur Selbstbehauptung und kein Durchsetzungsvermögen“. „Kann mit Aggressivität nicht umgehen und sie nicht in ein soziales Verhalten integrieren“. „Lebt unauffällig und in geordneten Verhältnissen, meist angepaßt, oft überangepaßt und nachgiebig.“ Männern fehle anscheinend „ein Dimmer für ihre Gefühle“. „Leistungen an Stelle von Gefühlen“ sei „ein zentrales Merkmal des männlichen Sozialcharakters“. Männer könnten „häufig ihre Gefühle nicht in Worten ausdrücken, deshalb sexualisieren sie oft ihre Emotionen“. Zentrales Ziel ihrer Arbeit mit gewalttätigen Männern sei deshalb „das Entwickeln von Sensibilität für die eigenen Gefühle. Wenn sie lernen, Wut, Ärger, Freude, Trauer, Angst bei sich frühzeitig zu erkennen und ihnen differenziert Ausdruck zu verleihen, ist die Basis genommen, daß es zu Reaktionen kommt, die sie als ,Kurzschluß‘ bei sich wahrnehmen.“ Gerhard Hafner trainiert darum auch, wie mann die eigenen inneren Signale wahrnimmt – zum Beispiel Muskelverspannungen oder Gewaltphantasien –, die solch einen vermeintlichen oder tatsächlichen Kurzschluß ankündigen. Mit Hilfe solcher „Kontrollpläne“ lernen die Männer, „das Konfliktfeld rechtzeitig zu verlassen“ oder auf andere Weise zur Ruhe zu kommen.

Die zehn bezahlt und unbezahlt arbeitenden „Mannege“-Männer, die auch Gruppen und Veranstaltungen zu anderen Themen wie Vaterschaft, Bisexualität oder Geschlechterpolitik anbieten, wissen indes sehr genau um die gesellschaftliche Marginalität ihrer Veränderungsarbeit am lebenden Mann. Schweden oder die USA, so berichten sie, seien der Bundesrepublik in dieser Hinsicht um viele Jahre voraus. In vielen US-Gemeinden habe man längst erkannt, daß das Problem männlicher Gewalttätigkeit nicht über den Bau immer neuer Frauenhäuser als „Frauenproblem“ entsorgt werden könne. Über 200 kommunale Einrichtungen, in denen schlagende Männer Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen lernen, dokumentieren das; in der Bundesrepublik existieren jedoch nicht mehr als ein halbes Dutzend Projekte.

Die „Mannege“-Mannen sind sich aber auch noch eines anderen „Filtersystems“ bewußt, das gewalttätige Männer glauben macht, sie könnten sich um die Folgen ihrer Tat drücken. „Das Verschwinden der Tat“ nennen die „Mannege“-Autoren das in ihrer Studie. Bundesweit gebe es jährlich 50.000 bis 100.000 Fälle sexueller Nötigung und Vergewaltigung, aber nur 10.000 würden per Anzeige bekanntgemacht (Anzeigefilter); diese Zahl werde durch die begrenzte polizeiliche Ermittlungsmöglichkeit halbiert (Ermittlungsfilter); eine nochmalige Halbierung entstehe durch gerichtliche Freisprüche (Beweisfilter). „Bei den verbleibenden 2.500 verurteilten Gewalttätern werden nur in jedem zehnten Fall Behandlungsmaßnahmen angeordnet (Sanktionsfilter); tatsächlich behandelt wird davon nur jeder zehnte Täter, also 25 von 10.000 (Untätigkeitsfilter).“

Ein anderes Phänomen könnte man „das Verschwinden des Geschlechts“ nennen. Gerhard Hafner schüttelt den Kopf, wenn er an die aktuelle gesellschaftliche Debatte um die Angriffe gegen Ausländer denkt. Er wundere sich sehr, daß kein Mensch das als Geschlechterfrage diskutiere und den Faschismus als Männlichkeitswahn auseinandernehme. Denn: „Gewaltprobleme sind Männerprobleme.“ Aber, so gibt er auch zu, bisher gebe es kein Projekt, das praktische Konsequenzen etwa aus Klaus Theweleits „Männerfantasien“ zu ziehen vermag und in diesem Sinne mit Rechtsradikalen arbeitet.

Auch die „Mannege“ ist gegenwärtig mehr damit beschäftigt, das Phänomen „das Verschwinden des Projekts“ zu verhindern. Denn nach der Ankündigung entsprechender Kürzungen im Berliner Etat für 1993 ist völlig unklar, auf welcher finanzieller Basis die Arbeit weitergehen soll. Der zuständige Familiensenator Thomas Krüger (SPD) erklärte der taz jedoch, daß der Fortbestand der „Mannege“ aus seiner Sicht „nicht gefährdet“ ist, auch wenn die Höhe der zukünftigen Zuwendung noch nicht feststehe. Das Projekt, so Krüger, sei nämlich eine „wichtige und sinnvolle Ergänzung“ der normalen Familienpolitik. Ute Scheub

„Mannege e.V.“ im „Haus der Demokratie“, Friedrichstraße 165, Zimmer 304, Tel. 2082157, telefonische Beratung Fr. 12–13 Uhr.

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