: Zwischen allen Gründerzeit-Stühlen
■ Charlotte von Mahlsdorf hat ihre Biographie veröffentlicht
„Eigentlich bin ich ein Einzelgänger, war es schon immer. Meine Möbel und später das Herumpusseln in meinem Museum, das hat mir fast genügt. Aber eben nur fast: Sexualität läßt sich ja nicht unterdrücken, warum sollte man es auch?“ Mit diesen wenigen Sätzen bringt Charlotte von Mahlsdorf ihr bizarres Leben auf den Punkt. Es war schon immer ein Dasein zwischen allen Stühlen, eine gewagte Existenz – zunächst im Nationalsozialismus, später am Rande des SED-Staats DDR, in dem Homosexualität zwar erlaubt, aber keineswegs erwünscht war. Individuelle Lebensziele paßten nicht in das starre Gesellschaftskonzept des Mauer-Regimes.
1928 als Lothar Berfelde in Mahlsdorf geboren, bemerkte der Knabe schon in seiner frühen Jugend, daß die Natur ihn mit dem falschen Körper ausgestattet hatte. Die Vorliebe für Mädchenschürzen, die Lust am Staubwischen der alten Gründerzeitmöbel und die erotische Neigung zum eigenen Geschlecht waren von Anfang an da. Und all das wäre dem Lothar Berfelde vielleicht schon früh zum Verhängnis geworden, hätte es in seiner engsten Umgebung nicht immer wieder Gönner und Beschützer gegeben. Der autoritäre Vater, ein überzeugter Nazi, wollte seinen Sohn um jeden Preis zu einem tapferen HJ-Jungen prügeln, und auch für den Klassenlehrer Dr. Berger war so ein „Mädchenknabe“ mit Lockenkopf, Samthöschen und Bubikragenblüschen ein steter Dorn im Auge. Allein eine lesbische Tante und der verständnisvolle Großonkel hielten immer wieder schützend ihre Hände über den eigenwilligen Knaben: „Wärst du schon um die Jahrhundertwende dagewesen, wärst du meine Perle geworden und hättest mir den Haushalt gemacht“, kommentierte der Onkel einmal die hausfraulichen Leidenschaften seines Großneffen. Er zeigte der Verständnis für Lottchens Abneigungen gegen Männerhosen und Exerzierübungen und ließ den Jungen gewähren.
Diese noch relativ beschützte Jugend am Rande der Reichshauptstadt Berlin mag der Grundstein für das aufrechte Leben der Charlotte von Mahlsdorf gewesen sein, Urquell für ein Leben gegen den gesellschaftlichen Strom. Die Autorin gibt diesen Jugendschilderungen in ihrer kürzlich im dia Verlag erschienenen Biographie jedenfalls viel Raum. Die dann folgenden Kriegswirren verändern auch Lothar Berfeldes Leben. Das Gutsleben gerät aus den Fugen, der Vater – eine „Reitpeitschennatur“ sieht seine Welt zusammenbrechen und droht, den eigenen Sohn totzuschlagen. Auch die geliebte Mutter will er „über den Haufen schießen“. In Todesangst sieht der 16jährige Lothar nur eine Möglichkeit, die Katastrophe abzuwenden: mit einem massiven Küchenholz erschlägt er den schlafenden Vater. Es folgt Untersuchungshaft, ein längerer Psychiatrieaufenthalt und das Urteil: vier Jahre Jugendstrafe, zu der es nicht mehr kommt, weil das Tausendjährige Reich endgültig zusammengebrochen ist.
Lottchen kehrt nach Mahlsdorf zurück, rettet ihr Gründerzeit- Sammelsurium, das sie seit ihrer Kindheit auf des Onkels Dachboden angehäuft hat, und beginnt ein neues Leben im neu gegründeteten SED-Staat. Über die bürokratische Engstirnigkeit der Behörden, die das Unternehmen „Gründerzeitmuseum“ immer wieder torpedieren, über die Intrigen der Firma Horch & Guck, die sich mit zunehmender staatlicher Geldknappheit mehr und mehr für die Privatsammlungen ihrer Bürger interessieren, berichtet Charlotte von Mahlsdorf mit dem immer gleichen, stets sehr persönlichen, leicht ironischen Stil, mit dem sie auch über ihr verschwiegenes Leben als Sado-Maso-Schwuler und Klappengänger berichtet.
Es ist auf diese Weise ein lesenswertes Buch entstanden, das mehr zu erzählen hat als eine ungewöhnliche Biographie. Es ist auch ein Stück wiedergegebene DDR-Zeitgeschichte, fokussiert von einem abseitigen Standort der Gesellschaft aus – ein Rapport aus der Nische. Wie Charlotte von Mahlsdorf mag es vielen Homosexuellen in der DDR über Jahrzehnte ergangen sein. Und wer kann wissen, wie viele Individualisten aus Gründen der Staatsräson in gleicher Weise rüde zur Aufgabe gezwungen werden sollten? Neben einigen privaten Familienfotos erweitert vor allem ein Fotoessay von Burkhard Peter die Lebenserinnerungen um eine ganz eigenständige Komponente. Hier wird Charlotte von Mahlsdorf inszeniert als das, was sie schon immer so gerne sein wollte: eine Frau.
Gerade weil diese Biographie nicht beabsichtigt, mehr zu sein als eine persönliche Rückschau, ist „Ich bin meine eigene Frau“ nicht nur eine weitere erzählte Lebensgeschichte. Charlotte von Mahlsdorf bleibt in ihren Erinnerungen immer eng an ihren eigenen Erfahrungen angelehnt, sie spart sich die großen, allgemeingültigen Worte, um dann gerade mit den kleinen, präzisen Statements diese unverwüstliche verlogene Doppelmoral aufzudecken, die sie von ihrer Jugend bis heute zu verfolgen scheint: das Buch endet wohl nicht von ungefähr mit der Schilderung jener späten Ehrung durch den Bundespräsidenten, mit der die Bundesrepublik Charlotte von Mahlsdorfs Verdienste um das Gründerzeitmuseum zu würdigen gedachte. Aus den Händen des Berliner Kultursenators Roloff- Momin nahm Lottchen am 17. August dieses Jahres – in weißer Bluse und Faltenrock – jenes Verdienstkreuz am Band entgegen, das die Republik Herrn Lothar Berfelde zugedacht hatte. Klaudia Brunst
Charlotte von Mahlsdorf:
„Ich bin meine eigene Frau.
Ein Leben“ edition dia,
Berlin 224 Seiten, 25 DM
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