: Irakgate setzt Major unter Druck
Britische Regierung hatte in geheimer Sitzung Exportbeschränkungen gegenüber dem Irak gelockert/ Waffenlieferungen auch an den Iran während des ersten Golfkrieges ■ Von Ralf Sotscheck
Die Irakgate-Schlinge zieht sich immer enger um John Majors Hals. Die Beteuerungen des britischen Premierministers, er habe nichts davon gewußt, daß britische Firmen das Waffenembargo gegen den Irak ständig durchbrachen, sind völlig unglaubwürdig. Das Kabinett hatte nämlich in einer geheimen Sitzung im Sommer 1988 entschieden, die Exportbeschränkungen aus dem Jahr 1985 zu lockern.
Vor dem Parlament behauptete man jedoch das Gegenteil. Major muß sich heute vor dem Unterhaus in einer Sonderdebatte verantworten, die von der Labour Party durchgesetzt wurde.
Der Skandal war vor zwei Wochen ans Licht gekommen, nachdem drei Vorstandsmitglieder der Firma Matrix Churchill, die wegen illegaler Waffenexporte in den Irak angeklagt waren, freigesprochen werden mußten. Sie konnten nachweisen, daß die Regierung nicht nur über die Exporte informiert war, sondern sie darüber hinaus ausdrücklich gefördert hatte. Die Regierung hatte vergeblich versucht, entscheidende Beweise in dem Prozeß zu unterdrücken.
In anderen Fällen ist ihr das freilich gelungen. So wurde der Vorstandsvorsitzende der Rüstungsfirma Ordtech, Paul Grecian, im Februar zu 18 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt, obwohl er die Geheimdienste seit 1988 über die Exporte in den Irak auf dem laufenden hielt. Die Regierung verhinderte durch Immunitäts-Erklärungen, daß Grecian Zeugen vorlud, die über seine Verbindungen mit den Geheimdiensten aussagen konnten. Auch der Geschäftsführer von Ordtech, Stuart Blackledge, wurde während des Golfkriegs im Januar 1991 verhaftet und angeklagt. Am Ende einigte man sich auf einen Deal hinter verschlossenen Türen: Blackledge hielt den Mund, bekannte sich schuldig und kam dafür mit einer Bewährungsstrafe davon. Trotz des Schuldbekenntnisses behauptete Major noch vor zehn Tagen, daß es keineswegs klar sei, ob Waffenlieferungen an den Irak überhaupt stattgefunden hätten.
Der Irakgate-Skandal ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs. Gestern enthüllte der Independent on Sunday, daß Großbritannien nicht nur den Irak, sondern auch den Iran während des Krieges zwischen beiden Ländern mit Waffen und Munition versorgt hat. Hurd hatte 1983 erklärt: „Wir sind neutral in diesem Krieg und haben keine Seite mit Waffen beliefert.“ Zwei Jahre später haute Geoffrey Howe in die gleiche Kerbe. Doch Alan Clark, der damalige Staatssekretär im Handels- und Außenministerium, ließ die britische Neutralität jetzt in völlig anderem Licht erscheinen. Er sagte, es habe in Großbritanniens Interesse gelegen, daß der Krieg zwischen Iran und Irak solange wie möglich dauerte. Deshalb habe man massive Waffenexporte in beide Länder zugelassen. Darüber hinaus sollen britische Firmen eine Reparaturwerkstatt für die Chieftain-Panzer im Iran unterhalten haben. Das wird von dem ehemaligen CIA- Agenten Bruce Hemmings, der 1985 für den Iran zuständig war, bestätigt. Und auch Felice Cesson, Staatsanwältin in Venedig, sagt, daß britische Firmen „ganz offensichtlich an dem Iran-Geschäft beteiligt“ waren. In Venedig beginnt in diesem Monat der Prozeß gegen 40 Geschäftsleute wegen Waffenhandels mit dem Iran. Dabei geht es um ein geheimes Netz von Waffenhändlern aus mehreren europäischen Ländern, das seit 1981 Millionen Artilleriegeschosse an den Iran geliefert hat. Im Mittelpunkt dieses Netzes steht die britische Firma Allivane. Cresson bat die britischen Behörden deshalb um Amtshilfe, wurde jedoch abgewiesen. „Sie wollten nicht kooperieren“, sagt sie. Die Popularität der Londoner Regierung, die aufgrund der Bergwerksschließungen, der Pfundkrise und der hohen Arbeitslosigkeit ohnehin angeschlagen ist, hat jetzt einen historischen Tiefpunkt erreicht. Laut Meinungsumfragen liegt die Labour Party inzwischen 23 Prozent vor den Tories. Doch die nächsten wahlen sind erst in vier Jahren – wenn sich Majors Kabinett solange hält.
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