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Die Farben der Angst

■ Eine Ausstellung von Kinderzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt im ehemaligen Israelitischen Krankenhaus

im ehemaligen israelitischen Krankenhaus

Ein grüner, rotes Feuer versprühender Drache stürzt sich auf eine Schöne, die von einer schwarzen Wolke umgeben ist. Mit Buntstiften malte dieses schaurig-märchenhafte Bild Doris Zdekauerova in Theresienstadt. Die Künstlerin wurde nur zwölf Jahre alt, 1944 wurde sie in Auschwitz umgebracht, weil sie Jüdin war. Für die Kinder in Theresienstadt waren die Bilder eine der wenigen Möglichkeiten, ihre Sehnsüchte und ihre Eindrücke des grausamen Alltags im geschlossenen Lager, den sie mit den Erwachsenen teilten, auszudrücken. Der Zeichenunterricht, den Friedl Dicker-Brandeis leitete, wurde von den Nationalsozialisten geduldet, was nicht der „üblichen KZ-Praxis“ entsprach.

Die Bezeichnung „jüdische Siedlung“ (Propaganda-Jargon: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“) sollte die Weltöffentlichkeit und die Insassen über seinen Zweck als Übergangsstation nach Auschwitz täuschen. Die Kinder lebten in dem 60 Kilometer nördlich von Prag gelegenen Ghetto getrennt von ihren Eltern in Heimen. Ihre Erziehung, Beschäftigung und Bildung wurde von der Jugendfürsorge der Gefangenenselbstverwaltung streckenweise illegal organisiert. Die Künstlerin und ehemalige Bauhaus-Studentin Friedl Dicker- Brandeis nutzte den Unterricht als einen Versuch der geistigen Rehabilitation der kleinen Gefangenen, die durch ihre Verschleppung und den Ghettoalltag tiefe psychische Belastungen erlitten. Sie erzählte Geschichten, die die Kinder mit viel Phantasie zu Papier brachten. Aber auch eigene Erfahrungen und Träume hatten ihren Platz in der Malschule.

Die Ausstellung im ehemaligen Israelitischen Krankenhaus vermittelt mit einer kleinen Auswahl aus den 4000 erhaltenen Kinderzeichnungen diese Vielfalt. Sie zeigt sich sowohl in unterschiedlichen Techniken und den gestalteten Themen als auch im künstlerischen Wert. Die zehn bis 14jährigen Häftlinge schufen vor allem mit Bleistiften, Tusche, Wasserfarben, Papier und Wolle zwei Themengruppen. Zum einen schauten sie in ihre glückliche Kindheit zurück und malten Erinnerungen an die Heimat, Familienfeste und Spielzeuge. Phantasiegebilde vom Schlaraffenland spiegeln die vergangene, heile Welt.

Die zweite Gruppe stellt Motive aus dem Ghetto dar. Auffallend ist die Kälte und Trauer in diesen Bildern. Ein großes, geschlossenes Tor, ein Mädchen das in die Ferne blickt und nummerierte Betten in engen Zimmern lassen Raum für Interpretationen. Doch auch scheinbar harmlose Gestaltungen verraten 1

2in kleinen Details, wie ein Wegweiser nach Prag, die Gedankenwelt. Die Darstellungsweise der Figuren und Szenen ist oft propertionslos und schüchtern. Die Strichführung ist wackelig und dunkle Farbtöne dominieren. „Das kindliche Gemüt erscheint bedrückt, unfähig zu ver-

1arbeiten,“ erklärte Gerhard Armanski in seiner Eröffnungsrede. Nur die Flucht in Erinnerung und Hoffnung stand in Theresienstadt offen, und davon erzählen die meisten Bilder. Kirsten Lösch

Ehemaliges Israelitisches Krankenhaus, bis 4.12.

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