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„Die Zeit des Redens ist vorbei“

■ Parlament debattierte über Rechtsextremismus

Berlin. Es sei zu spät, um zu sagen: „Wehret den Anfängen.“ Zu dieser Erkenntnis gelangte in der Debatte des Abgeordnetenhauses zum Rechtsextremismus nicht nur der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). „Was zur Zeit in Deutschland geschieht, ist eine Schande“, sagte Diepgen. Wirrköpfe auf den Straßen seien dabei, den Deutschen das Stigma von Mordbuben aufzubrennen. Diepgen zeigte sich besorgt über das Bild der Deutschen im Ausland und in den ausländischen Medien. Gewalt gebe es von rechts wie von links, „und die eine ist genauso verwerflich wie die andere“.

Als Ursache machte Diepgen eine „kaum für möglich gehaltene Verrohung in der Gesellschaft“ aus, etwa in der Schule, auf der Straße und im Straßenverkehr. Einen weiteren Grund sah er im schwindenden Rechtsbewußtsein; wenn es nicht gelinge, das Einhalten von bewährten Spielregeln durchzusetzen und notfalls zu erzwingen, sei die Gesellschaft in großer Gefahr. Das Gewaltmonopol müsse beim Staat liegen: „Es darf nicht zu irgendeiner Form von Selbstjustiz kommen.“

Als konkrete Maßnahmen, die in Berlin bereits umgesetzt würden, verwies er auf eine Vereinbarung von Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) mit der Polizei, eine bereits bestehende Sonderkommission beim Staatsschutz zur Überwachung der militanten rechten und linken Szene aufzustocken. Darüber hinaus sollen das mobile Einsatzkommando der Polizei erweitert und Asylbewerberheime besser geschützt werden. Wie SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt sprach sich Diepgen auch für eine Verschärfung des Waffengesetzes aus und kündigte eine entsprechende Bundesratsinitiative des Senats an.

„Die Zeit des Redens ist vorbei“, mahnte Staffelt, es dürfe nicht länger der Eindruck erweckt werden, daß der Staat gegenüber dem Rechtsextremismus in der Defensive bleibe. Er forderte erneut das Verbot von rechtsextremen Gruppierungen und die konsequente Anwendung von bestehenden Gesetzen. Die Bevölkerung rief der SPD-Chef dazu auf, Solidarität zu zeigen, nur so könne der Potenzierung von Gewalt Einhalt geboten werden. Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts trat er für ein kommunales Ausländerwahlrecht ein; „auch die doppelte Staatsbürgerschaft ist längst überfällig.“

Zu scharfen Kontroversen kam es um die Rolle der Polizei bei den jüngsten Ermittlungen nach dem Mord an Silvio Meier. Der stellvertretende Fraktionschef von Bündnis 90/ Grüne, Wolfgang Wieland, warf der Polizei vor, sich des „unzulässigen Mittels der Desinformation der Öffentlichkeit“ zu bedienen, indem sie am Krankenbett versucht habe, Zeugen zu beeinflussen und voreilig eine unwahre Hergangsschilderung des Täters herausposaunt habe. Diepgen kritisierte Wieland mit scharfen Worten für diese Äußerungen und nahm die Polizei in Schutz, auch für „ihr besonnenes Auftreten“ bei den Ausschreitungen in Kreuzberg. Kordula Doerfler

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