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„Ich wollte erleben, wie jemand stirbt“

■ Nur jeder Zehnte, der Aidskranken helfen möchte, wird auch tatsächlich Aids-Helfer

„Wir suchen verzweifelt Leute – aber wir müssen trotzdem auswählen“, sagt Grit Mattke. Die Sozialarbeiterin ist bei der Berliner Aids- Hilfe für die Koordination von ehrenamtlichen Betreuern zuständig. Obwohl sich auf die Kleinanzeigen der Aids-Hilfe in Stadtmagazinen und Schwulenzeitungen viele Interessenten melden, die bereit sind, sich in der Beratung und Betreuung HIV-Positiver zu engagieren, wird nur ungefähr jeder Zehnte dann auch wirklich Aids- Helfer. Momentan arbeiten 250 ehrenamtliche Helfer in den Bereichen Telefonberatung, Prävention, Öffentlichkeitsarbeit und „emotionale Betreuung“.

Die letzte Aufgabe fordert am meisten persönliches Engagement: Ungefähr sechs Stunden wöchentlich verbringt ein Betreuer mit „seinem“ HIV-Positiven. „Das heißt, daß man mit dem Betroffenen redet, ab und zu mit ihm ausgeht, ihn im Krankenhaus besucht, wenn die Krankheit ausbricht – und daß man bis zum Tod dabei ist“, erklärt Grit Mattke. „Das fordert eine große psychische Belastbarkeit.“

Auf dem Fragebogen, den die Aids-Hilfe angehenden Betreuern zuschickt, stehen denn auch Fragen nach Erfahrungen mit Trauer und mit dem Tod an erster Stelle. Eveline Armenat, die seit zwei Jahren als ehrenamtliche Betreuerin arbeitet, hat schon den Tod von zwei Aidskranken miterlebt. Trotzdem ist die 35jährige entschlossen, sich weiter zu engagieren: „Vielleicht habe ich mich überhaupt nur für diese Aufgabe gemeldet, weil ich erleben wollte, wie jemand stirbt.“

Ein Grund für ihr Engagement sind auch Eveline Armenats Bekannte in der Schwulen- und Drogenszene. Daß man sich im Milieu der Betroffenen auskennt, ist aber keine Voraussetzung für diese Arbeit. Wichtig seien vor allem Beständigkeit, Zuverlässigkeit und die Bereitschaft, sich mit der Lebenswelt der Betroffenen auseinanderzusetzen, erklärt Grit Mattke. Nur die Helfer, die sich im Bereich der Prävention engagieren, also mit Homosexuellen über Aids sprechen, müssen selber schwul sein. Insgesamt ist etwa die Hälfte der ehrenamtlichen Aids- Helfer homosexuell.

Die andere Hälfte sind Frauen, darunter viele Psychologinnen und Krankenschwestern. Ein Mindestalter von 25 Jahren ist Voraussetzung für die Mitarbeit. Die meisten Helfer sind um die dreißig Jahre alt. „Es wäre schön, wenn wir mehr ältere Helfer hätten, denn die meisten Betroffenen sind zwischen dreißig und fünfzig und suchen jemand, der gleichaltrig oder älter ist“, sagt Grit Mattke.

Wichtig für die Auswahl der Helfer ist auch deren Lebenssituation. „Eine gewisse Stabilität ist da schon notwendig“, sagt Grit Mattke. Bei einem dreistündigen Vorgespräch in der Aids-Hilfe erfahren die Interessenten, was sie in die ehrenamtliche Arbeit investieren müssen: Mindestens neun Monate lang sollten sie etwa acht Stunden pro Woche Zeit haben. Außerdem sollen sie in dem Gespräch herausfinden, in welchem Bereich sie am liebsten arbeiten möchten. Wer sich in der telefonischen Beratung engagiert, bekommt einen festen Dienstplan, wer jemanden persönlich betreut, kann sich seine Zeit selbst einteilen. Bewerber, die sich den Aufgaben gewachsen fühlen und den Aids-Hilfe-Mitarbeitern geeignet erscheinen, werden dann an zwei Wochenenden ausgebildet.

Die Teilnehmer an diesem Kurs sollen sich – zusammen mit Psychologen und Therapeuten – zunächst mit dem Gefühl der Hilflosigkeit, der Angst vor Krankheit und Tod und auch mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen. In einer „Sterbemeditation“ stellen sie sich ihren eigenen Tod oder den eines geliebten Menschen vor. Das zweite Wochenende der Ausbildung ist dagegen eher praxisorientiert: In Rollenspielen üben die Teilnehmer telefonische Beratungsgespräche oder das möglichst taktvolle Kennenlernen eines HIV-Infizierten, den sie dann als Helfer später betreuen sollen. Miriam Hoffmeyer

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