: News vom Schal-Sender
■ Wickerts Vertreibung oder schief gewickelt? Heute startet Nachrichtenkanal N-TV
Nur ein paar Minuten sind es von dem ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charly bis zum Funkhaus des Nachrichtenfernsehens N-TV. Abseits der hinter Bauzäunen versteckten Prachtbauten der Friedrichstraße steht das unverputzte Gebäude, in dem sich „das modernste Nachrichtenstudio Deutschlands“ verbirgt. Bis vor kurzem residierte darin noch der DDR-Verlag „Volk und Welt“. Vor einem Jahrhundert war hier das Zentrum der Zeitungsstadt Berlin, wo Ullsteins Berliner Illustrierte erschien und bis 1933 der Chefredakteur des Berliner Tageblatt, Theodor Wolff, seine Leitartikel verfaßte. Von heute an will hier N-TV als „der erste Nachrichtensender Deutschlands“ senden. News rund um die Uhr, 18 Stunden lang, von sechs Uhr morgens bis Mitternacht. Vorbild ist CNN. Chefredakteur Peter Staisch, bekannt als schaltragender Washington-Korrespondent der ARD, will ein Informations-Programm anbieten, in dem weder „Parteilichkeit noch Ideologie auch nur in leisester Form Nachrichtenauswahlkriterien sind“.
Mitte des Jahres sagte Staisch den öffentlich-rechtlichen Anstalten noch den Kampf an: „Meine Zuschauer werden auf ,Tagesschau‘ und ,Tagesthemen‘ verzichten können.“ Nachdem N-TV eine Umfrage über seine Marktchancen in Auftrag gegeben hatte, sah er plötzlich einen ganz anderen Konsumententyp vor sich. „Der typische N-TV-Zuschauer bleibt selbstverständlich ,Tagesschau‘ und ,Tagesthemen‘ treu.“ In seinem Publikum sitzen, laut Umfrage, besonders viele männliche „besser erzogene und besser verdienende“ Führungskräfte. Großer Wert soll deshalb auf Wirtschafts- und Börsennachrichten gelegt werden. Seinen Wechsel zu den Privaten begründete der 49jährige mit seiner Midlife-Crisis, in der sich die meisten Männer junge Frauen suchten; er habe sich eben einen jungen Sender gesucht.
Karl-Ulrich Kuhlo heißt ein weiterer Mann aus der Führungsriege. Als Programmchef und N- TV-Gesellschafter hat der ehemalige Vertreter der Bild-Chefredaktion in den letzten Monaten eine internationale Gesellschafterriege aufgetrieben, die bereits 60 Millionen Mark in den Sender investierte und jährlich weitere 100 Millionen zahlen will. Er stellte 230 MitarbeiterInnen ein und baute die Studios um – und das alles ganz ohne Sendelizenz. Denn die gab's erst vor vier Wochen. Jetzt wird das Programm ins Kabel eingespeist und über den Satelliten Kopernikus übertragen. „Genießen Sie die letzten Tage im Paradies, Herr Wickert“ lautet die Eigenwerbung.
Während die Handwerker ihre Farbtöpfe wegräumen, proben die Journalisten und Techniker seit drei Wochen die Praxis. Auf der Treppe zum Nachrichtenzentrum des Senders wird Pressereferentin Angelika Sick fast von einem Redakteur umgerannt. „Das System ist zusammengebrochen“, keucht er. Das scheint öfter vorzukommen, denn Frau Sick nickt ihm freundlich zu: „Wir haben das modernste Redaktionssystem Deutschlands.“ Allenfalls die großen US-amerikanischen Networks arbeiten mit Digitaltechnik, einer Form der Bild- und Textverarbeitung, bei der die Redaktion weitgehend die Arbeit der Technik übernehmen muß. Im zweiten Stock laufen die Agenturmeldungen, das Bildmaterial der eigenen Korrespondenten, das freier Produktionen und der TV-Agenturen WTN und Visnews ein. Sie werden von dem automatischen Nachrichtensystem sofort übersetzt und auf die richtige Länge gebracht.
Der Chef vom Dienst, Johann Legner, begutachtet die frischen Beiträge. Legner hat vor ein paar Wochen noch beim SFB gearbeitet. Im Großraumbüro verfolgt er die Agentur-Nachrichten auf Bildschirmen. Mit seiner Fernseherfahrung wird er bald nur noch wenig anfangen können. Theoretisch brauche man mit der digitalen Technik einen Moderator nur einmal aufzunehmen, der Computer speichert die Sprechgeschwindigkeit und die Lippen- und Körperbewegungen. So könnten einem Sprecher Worte in den Mund gelegt werden, die er selbst nie gesprochen hat. „So weit sind wir natürlich noch nicht“, sagt Legner.
Endgültig vorbei sei dagegen die Zeit, als sich alle Mitarbeiter nach einer Sendung ihre Arbeit noch einmal angesehen haben. Zu jeder vollen Stunde müssen zwölf Minuten und zu jeder halben sechs Minuten Nachrichten gezeigt werden. Jede Viertelstunde stehen einminütige Schlagzeilen auf dem Programm. Ein Stockwerk tiefer blinkt an einer mit grauem Stoff gepolsterten Tür das rote Warnlicht „Sendung“. Im Halbdunkel sitzen zehn Techniker in einer Reihe und starren auf Bildschirme in der Wand vor ihnen. Dort ist in dutzendfacher Ausführung zu sehen, wie Barbara Bush Hillary Clinton umarmt. „Achtung“, unterbricht Ablaufregisseur Hinnerck Kater die Szene, „noch zehn Sekunden bis zur Werbung.“
Jede Viertelstunde sendet N-TV ein bis zwei Minuten Reklame. Dann verliest die Sprecherin das Wetter. An der ferngesteuerten Studiokamera ist ein Bildschirm, ein sogenannter Teleprompter, montiert, über den die Sätze langsam zum Mitlesen ablaufen. Das Studio ist ganz in den Farben des Senders gehalten. An dem grauen Tisch mit roten Längsstreifen wartet ein Wasserglas auf die Moderatoren Anja Wolf, Marianne Beland, Wolfram Schweizer und den stellvertretenden Chefredakteur Harald Prokosch. Wie bei allen anderen Sendern auch beginnt der Tag bei N-TV mit einem Frühstücksmagazin.
Den weiteren Ablauf stellt sich Chefredakteur Staisch folgendermaßen vor: Das Morgenprogramm lasse sich problemlos „zwischen zwei Meetings im Büro“ einbauen. „Neben dem Mittags-Joghurt am Schreibtisch“ kann der Manager dann ein tägliches Interview „in kleinen nahrhaften Häppchen“ goutieren, und schließlich sollte er auch für „Buntes und Skurilles“ aufgeschlossen sein. Denn: „Der Vorstandsvorsitzende einer Bank will schließlich wissen, wie er seine Frau anziehen kann.“ Bettina Bausmann
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