Schwimmen wir nicht alle?

■ Seichtes in den Messehallen: Die dritte Art Hamburg kurz vor dem Ertrinken

kurz vor dem Ertrinken

Wenn die Hamburg Messe GmbH zwischen dem 4. und 7. Dezember zum dritten Mal Künstler und Galerien einlädt, sollte man tatsächlich einmal über Sinn und Zweck eines solchen Unternehmens nachdenken. 45 Galerien aus 11 Ländern vertreten die bildende Kunst - besser: das, was sie darunter verstehen möchten. Als künstlerischer Berater fungiert im dritten Jahr Prof. Dr. Otto Hajek.

Die Hallen 11 und 12 sind unter das schwierige Motto ihres Consulenten gestellt: „Kunst kennt keine Grenzen“. Das Programm liest sich wie folgt: „Es ist eine Zeit des Umbruchs. Kulturelle Grenzen werden zu Grenzen neuer Staaten. Noch nie waren Begegnungen wichtiger...“. Möglichen kritischen Fragen über Niveau und Qualität der Messe, baut der Herr Professor geschickt vor, indem er auf den in der Kunst angelegten, pluralen Konsens anspielt: „...daß man die Sprache des Unbekannten, das im Werk enthaltene Kunstverständnis, unvoreingenommen auf sich wirken läßt, bevor man kritisch den Wert ermittelt...“. Könnte dies nicht auch als Voraussetzung für eine Staubsauger-Messe gelten?

Und hier beginnen alle Schwierigkeiten mit einer Kunst-Messe, die, berechtigt, die Öffnung zum Osten sucht, und aus der qualitativen Not eine Tugend zu machen sucht: ohne jegliche Vorauswahl alle einzuladen, die gewillt sind, die Stand-Kosten zu zahlen. Also eine Messe für idealistische Chaoten? Leider auch nicht, weil die Fragen an den politischen und ökonomischen Kontext der Kunst nur verbal artikuliert werden, in den Werken selbst sich aber nur ein die Grenzen des bürgerlichen Kunstgeschmacks spiegelndes Ereignis zeigt. Und das ist das Problem: Es kann nicht darum gehen, Aussteller wie die Galerien Wolf, Bir und Dismund D'Art wegen schlechten Geschmacks vorzuführen.

Es geht für die Kunst und ihren Begriff von Toleranz eben um mehr: um Differenziertes und Angemessenes. Gemäß dem Motto „Alles ist anders“, mag auch diese Messe mögen wer will. Auch das hier verkauft wird, ist positiv zu beurteilen. Aber die Kunst darf nicht dazu mißbraucht werden, einfach alles gleichzuschalten. Dies zumal ist eine Frechheit gegenüber den überraschend guten Galerien und Künstlern, die dort auch zu entdecken sind: Karl Weibls auf die

1beuys'sche Naturkunst bezogenen Arbeiten; oder die liebevoll gehängten expressionistischen Skizzen von Barlach und Corinth bei Schwark oder die internationalem Niveau gerecht werdenden österreichischen Künstler Wetzelsdorfer und Jordan.

Unter der Bedingung, mit Köln und Basel sowieso nicht konkurrieren zu können, sollte man das wirklich Anarchische, Gebrochene und Zeit-kritische fördern. Überdies müßte die Messe einen Ausstellungsmacher gewinnen, der eine Hängung fördert, die nicht am Plastik-Faden hängt und gerade die besseres Niveau präsentierenden

1Galerien aus den osteuropäischen Staaten berät.

Wäre es nicht möglich, in Hamburg eine Messe zu gestalten, die sich bewußt vom schnöden Mammon-Denken der „großen“ unterscheidet, und die eigenen sachlichen Mängel diskutiert, um so einen Kunst-Markt in der Weltstadt Hamburg zu etablieren, der genau das versteht, was die „großen“ nicht leisten: eine inhaltliche Auseinandersetzung, die sich als tolerant erweist? Denn so wird niemandem ein Gefallen getan: weder dem hobbyistischem Kunst-Sehnen, noch den jungen Künstlern und Galerien aus Ost und West, und vor

1allem nicht der Stadt Hamburg.

Was uns dennoch allen gemein ist, hat bereits der seelige Joseph B., auf den Punkt gebracht: „Ich schwimme“. Und in der Tat leben wir nicht in einer Zeit des Wertewandels, wie uns die Werbe-Demagogen weismachen wollen, sondern in einer Zeit der Umwertung aller Werte. Jeder kreative Mensch ist wertvoll, aber er muß nicht gleich mit seinem Aquarell auf eine Messe gehen. Eine Messe ist eine Leistungsschau. Gunnar Gerlach

Bis 7.12; tägl. 11 bis 20, Mo. 11-18 Uhr; Empfehlenswerte Sonderschauen: Kunstzug-Stand „RedTrain“, und die Duane Michals-Retrospective