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Verfassungsfragen sind Machtfragen

In der Enquete-Kommission für die Verfassungsreform wollen CDU und SPD die Exekutive stärken/ Opposition fordert dagegen mehr Transparenz und Rotationsprinzip für Senatoren  ■ Von Kordula Doerfler

Berlin. Verfassungsfragen sind Machtfragen, erkannte schon der Ahnherr der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lasalle. Um Machtfragen geht es auch, wenn heute die Enquete-Kommission tagt, die den Auftrag hat, noch innerhalb dieser Legislaturperiode dem Parlament einen Entwurf für eine Reform der Berliner Verfassung zu erarbeiten und vorzulegen. Beraten und möglichst auch entscheiden möchte das 27köpfige Gremium heute darüber, mit welchen Machtbefugnissen künftig der Regierende Bürgermeister von Berlin ausgestattet sein soll und wie seine Regierungsmannschaft ernannt werden soll. Nach der derzeit geltenden Verfassung von Berlin wird der Regierungschef mit der Mehrheit der jeweils anwesenden Abgeordneten gewählt; sein Stellvertreter und die restlichen Senatoren werden – auf seinen Vorschlag hin – ebenfalls einzeln vom Parlament in Amt und Würden gewählt. Geht es nach dem Willen der Koalitionsfraktionen CDU und SPD, wird das von der nächsten Legislaturperiode an anders aussehen. Beide Parteien erstreben eine Stärkung der Exekutive dadurch, daß künftig die bisher übliche parlamentarische Aussprache vor der Wahl des Regierenden Bürgermeister wegfällt. Außerdem soll er künftig die einzelnen Senatoren ernennen und entlassen können. Dementsprechend will die Koalition auch nur noch ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen den Regierungschef zulassen und nicht mehr gegen einzelne Senatoren, wie es derzeit Gesetz ist.

Um die Stellung des Regierenden weiter zu stärken, soll er, wie der Bundeskanzler und verschiedene Ministerpräsidenten, künftig auch die sogenannte Richtlinienkompetenz innehaben. Auch die Richtlinien der Regierungspolitik bedurften bisher einer Billigung seitens des Parlaments. Obwohl auch in all diesen Fragen in Details noch Meinungsunterschiede zwischen CDU und Sozialdemokraten bestehen und zum Teil auch in den Fraktionen noch andere Standpunkte vertreten sind, steht zu erwarten, daß die geplante Stärkung der Exekutive mit der Mehrheit der Koalition abgestimmt wird. In der Enquete-Kommission ist dafür sogar nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich, im Parlament dagegen eine Zweidrittelmehrheit.

„Wir brauchen eine gläserne Regierung“

Die Oppositionsparteien vertreten teilweise Gegenpositionen. So argumentiert die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Renate Künast, damit, daß in Zeiten zunehmender Parteienverdrossenheit es geradezu kontraproduktiv sei, die Exekutive zu stärken. „Wir brauchen keine Stärkung der Insignien“, erklärte sie gegenüber der taz, „sondern mehr Transparenz, eine gläserne Regierung.“ Die Grünen befürchten auch, daß durch die Richtlinienkompetenz der kleinere Koalitionspartner, der auch in den kommenden Regierungen immer zu erwarten ist, in Abhängigkeit vom Regierungschef geraten könnte. Künast, die auch den Vorsitz in der 14tägig beratenden Enquete-Kommission führt, geht in ihren Vorschlägen noch weiter: Nicht nur sollen die derzeitigen Regelungen der Verfassung weiter gelten, sie schlägt ein Rotationsprinzip für Senatoren nach amerikanischem Vorbild vor. Danach soll jedes Senatsmitglied sein Amt nur zwei Legislaturperioden hintereinander innehaben. Die Grünen fordern auch die sogenannte Unvereinbarkeitsklausel, die besagt, daß kein Senator gleichzeitig Mitglied des Parlaments sein darf, da „das ein horrendes Geld koste“. Derzeit sind nach der jüngsten Niederlegung seines Mandats durch Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) noch sieben SenatorInnen gleichzeitig auch Abgeordnete und kassieren die entsprechenden Diäten.

Die Einwände der Grünen werden wiederum von den Koalitionsparteien als kontraproduktiv eingestuft. Den Streit um die Richtlinienkompetenz hält die SPD-Abgeordnete und Politik-Professorin Barbara Riedmüller, ebenfalls Kommissionsmitglied, für einen „Nebenkriegsschauplatz“. „Der Regierende muß endlich die Kompetenz haben, die ihm als Oberhaupt der Exekutive zusteht“, erklärte sie. Ähnlich argumentiert auch die CDU-Fraktion.

Auch wenn die von Mitgliedern liebevoll abgekürzte „EnKo“ heute tatsächlich Beschlüsse zur Regierungsbildung fassen sollte, ist ihre Arbeit noch längst nicht beendet. Im nächsten Jahr, wenn es etwa um die Neuformulierung von Staatszielbestimmungen gehen wird, sind neue endlose Debatten vorprogrammiert, mit anderen Kräfteverhältnissen als bei der Regierungsbildung. Während CDU und FDP diese möglichst unangetastet übernehmen wollen, sind sich hier SPD und Grüne wieder näher. Überhaupt tun sich die Volksvertreter schwer mit ihrem Auftrag. Ein Jahr lang dauerte es allein, bis die Kommission ihre Arbeit aufnahm. Das erste Gesamtberliner Parlament, das sich am 11.Januar 1991 in der Nikolaikirche konstituierte, hatte beschlossen, daß die damalige Westberliner Verfassung nun für ganz Berlin gelte – allerdings mit dem Auftrag, sie innerhalb der Legislaturperiode zu überarbeiten. Als Arbeitsgrundlage dienen sowohl die Westberliner Verfassung aus dem Jahr 1950 als auch die ehemalige Ostberliner Verfassung, die noch im Juli 1990 von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet worden war. Jetzt hofft man, bis zum Sommer 1993 einen brauchbaren Entwurf vorlegen zu können, was aber nach den bisherigen Beratungen als unrealistisch erscheint. Denn „der Teufel steckt im Detail“, weiß CDU-Verfassungsexperte Klaus Finkelnburg.

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