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■ Konservative Sprache und PsychologieErschütterungen

Auf die Frage, warum der Bundeskanzler nicht an der Trauerfeier für die drei Opfer des Brandanschlages von Mölln teilnehme, antwortete Regierungssprecher Vogel, dem Kanzler sei ein solcher „Beileidstourismus fremd“. Sprachpsychologisch betrachtet, drückt diese Formulierung Verachtung und Gleichgültigkeit für das Leid der Hinterbliebenen und für die Opfer aus. Gleichzeitig muß man wissen, daß im Jahre 1977 – nach dem Mord der RAF an dem Arbeitgeberpräsidenten Schleyer– der damalige Abgeordnete Helmut Kohl an der Trauerfeier und am Staatsbegräbnis teilgenommen hat. Liegt hier nicht die vielfach schon geäußerte Vermutung nahe, die Konservativen differenzierten sehr genau in der „Wertigkeit“ der Opfer?

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Deutschland, Ignatz Bubis, hat in einer Fernsehdiskussion kritisiert, Helmut Kohl habe in Verbindung mit den Morden in Mölln immer nur von brutalen „Gewaltakten“, jedoch nicht von Mord gesprochen. Gewaltakte haben etwas Elementares, Eruptives, vielleicht etwas, von dem man annimmt, daß es sich der justitiablen Behandlung eigentlich entzieht. Mord hingegen ist ein eindeutiger Straftatbestand, klar definiert und eingegrenzt. Die Verwendung des „rechtsförmigen“ Begriffes Mord suggeriert immer die Verhängung der Höchststrafe, zumindest eine unnachsichtige Bestrafung.

Wolfgang Fritz Haug hat 1967 in seiner Studie über die Sprache des hilflosen (konservativen) Antifaschismus angemerkt, daß dort, wo „begriffliche Erkenntnis gefordert wird, sie häufig bloß den Gestus des Erschüttertseins“ biete. Wenn die Konservativen in Verbindung mit den Morden an Ausländern immer davon reden, es müsse dem „unwürdigen Treiben der Gewalttäter“ oder dem „Spuk“ ein Ende bereitet werden, so fungieren diese Formeln – im Haugschen Sinne – als Techniken der Abwehr, der Verdrängung des Sachverhaltes in den Bereich des Irrsinns, des Irrationalen der menschlichen Persönlichkeit.

Ein bemerkenswertes Beispiel für Sprachentgleisung bietet der Chefkommentator der FAZ, Friedrich Karl Fromme. Er glaubt einen wichtigen Unterschied zwischen linken und rechten Morden entdeckt zu haben. Er schreibt, es sei „zu bedenken, daß raffiniert vorbereitete, das Moment der Heimtücke einschließende Morde von Rechtsradikalen nicht zur normalen Verhaltensweise gehören wie (einst?) bei der RAF“ (FAZ vom 14.11.92). Weiter plädiert er für milde Strafen: „Eine (Jugend-)Freiheitsstrafe würde einen solchen Menschen zum Kriminellen machen.“ (FAZ vom 14.11.92) Hier phantasiert sich ein Konservativer einfühlsam in die Psyche eines Rechtsradikalen hinein. Fromme, dem in der Vergangenheit der Resozialisierungsgedanke stets ein Greuel war – bei linken Gewalttätern ohnehin –, entdeckt diesen Aspekt der Strafe ausgerechnet bei rechten Terroristen, die Mordanschläge auf Ausländer begehen. Wenn diesen Morden die „Heimtücke“ fehlt, wie Fromme schreibt, können nur lautere Motive, schlimmstenfalls Dummheit die Ursachen für die kriminellen Taten sein. Dann kann aber nur eine Bewährungsstrafe in Betracht kommen. Originalton Fromme: „Schwer verständlich wäre es, wenn ein normaler Betrüger Bewährung bekommt, ein Jugendlicher, der aus Haltlosigkeit (sic!) ein Asylantenheim angegriffen hat, aber seine anderthalb Jahre abbrummen muß.“ „Abbrummen“ ist ein Wort aus dem Ganovenjargon, in dem die Sympathie mit dem Betroffenen, gleichsam das Bedauern über die Unbill des Freiheitsentzugs immer mitschwingt. Ist diese Wortwahl bei einem Menschen, der seit Jahren den professionellen Umgang mit dem Wort pflegt, nur ein Zufall?

Die meisten Gerichte, die sich mit rechten Gewalttätern befassen mußten, haben diese von Fromme geforderte Milde walten lassen. Das Tottrampeln eines Schwarzen in Eberswalde „kostete“ zwischen zwei und vier Jahren Gefängnis wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“. Das Gericht bewertete das „Niederstiefeln“ (Skinhead- Jargon) des Schwarzen aus Angola als „jugendtypische Verfehlung“. Die Brandstifter von Rostock wurden noch in der Nacht ihrer Untat auf freien Fuß gesetzt, weil sei einen „festen Wohnsitz“ nachweisen konnten.

Die von den Richtern in den neuen Bundesländern in den Urteilen meistens benutzte Zauberformel der Entlastung lautet „Orientierungslosigkeit“. (Linke Straftäter haben hier schlechte karten, haben sie doch aufgrund ihrer meist vorhandenen Intellektualität einen hohen Grad an Orientierungsfähigkeit!) Das Maß an Menschlichkeit, das man dem Bürger abverlangt, wird abhängig gemacht vom gesellschaftlichen „Durchblick“. Der Wirrkopf darf morden? Eine fatale Relativierung humaner und strafrechtlicher Normen!

Das Zeigen des Hitlergrußes in der Öffentlichkeit – eine strafbare Handlung – wird bislang von den Staatsanwaltschaften ignoriert. Die Songs der Skinhead-Rockband „Störkraft“ rufen zum Mord an Ausländern und Juden auf, bleiben jedoch von der Staatsanwaltschaft Koblenz unbehelligt.

Jeder auch nur oberflächliche Vergleich solcher Strafen oder besser Nichtstrafen mit dem Vorgehen der Justiz gegen linke Straftäter zeigt eine eklatante Ungleichbehandlung. Warum ist das so? Hier liegt eine psychologische Erklärung nahe. Ob man als Richter den Strafrahmen, den das Gesetz hergibt, nur halb oder ganz ausschöpft, liegt – so die gängige Lehrmeinung in der Rechtspsychologie– daran, ob der urteilende Richter die Tat von seinen ganz persönlichen Wertmaßstäben und Affekten her verabscheut oder nicht. Dieser Mechanismus ist auch die Ursache dafür, daß ein Vergewaltiger immer relativ milde bestraft wird, solange ein Mann über ihn zu Gericht sitzt. Den unbewußten Vorgang der euphemistischen Umbiegung rechter Straften wird ein Richter natürlich als Unterstellung weit von sich weisen. Der FAZ-Kommentator Fromme hat jedoch anschaulich vorgeführt, wie bis in die Wortwahl hinein die unbewußte Identifizierung mit Politikmustern gehen kann. Warum sollte es bei den überwiegend konservativen Richtern anders sein? Die deutsche Justiz hat sich bis heute nicht in Gänze von dem Leitsatz verabschiedet, was damals (gemeint ist die Nazizeit) Recht war, könne heute kein Unrecht sein. Dieser positivistische Rechtsansatz, der in der schlichten Existenz von Paragraphen schon die höchste Legitimation erblickt, verstellt den Blick darauf, daß jedes Recht immer auch eine politische Setzung darstellt.

Das Berliner Kammergericht und als vorläufig letzte Instanz der Bundesgerichtshof haben jüngst die Klage der Tochter von Carl von Ossietzky zurückgewiesen, heute die Verurteilung ihres Vaters als Landesverräter aufzuheben. Als Begründung wurde die Fortdauer des positiven Rechts von der Endphase der Weimarer Republik bis heute ins Feld geführt.

Rainer Werner

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