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„Diese Soldaten waren wie Hunde“

Der Mut einer Koreanerin bringt Japan in Verlegenheit/ Systematische, organisierte Vergewaltigungen durch die japanische Armee werden zum Thema  ■ Aus Tokio Chikako Yamamoto und Georg Blume

Als Kim Hak Sun die Maschine der japanischen Luftfahrtgesellschaft JAL von Seoul nach Tokio bestieg, fiel ihr Auge auf das Sonnenbanner unter dem Cockpit des Piloten. Sie hatte die japanische Flagge lange Jahre nicht mehr von nahem betrachtet. „Doch dann“, sagt Kim Hak Sun wenig später im Scheinwerferlicht japanischer Fernsehkameras, „kam bei mir alles hoch, was ich vorgab verdrängen zu können.“

Die 68jährige koreanische Sozialhilfeempfängerin Kim war nach Tokio gekommen, um die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen – mehr nicht. Doch das reichte schon, um Japan in Verlegenheit zu bringen. Niemand konnte sie ignorieren. Denn Kims Geschichte war auch die Geschichte ihres Landes, und nur die Verschwiegenen kannten sie.

Kims Geschichte beginnt in Pjöngjang, der heutigen Hauptstadt Nordkoreas, in den dreißiger Jahren. Korea war damals japanische Kolonie. Kim wuchs in einer armen Familie auf, in der die Kinder arbeiten mußten, weil der Vater früh verstorben war. Doch dann, mitten im Krieg zwischen Japan und China, verlor Kim im Alter von siebzehn Jahren ihre Arbeit.

Als Kim Hak Sun das alles erzählt, steht sie im Neonlicht eines glanzlosen Tokioter Konferenzsaales, der mit fünfhundert Zuhörern hoffnungslos überfüllt ist. Sie trägt das alte, traditionelle Gewand der Koreanerinnen, ein langes, weißes Samtkleid. Das verleiht ihr Würde. Sehr angestrengt, aber deutlich dringt ihre tiefe Stimme zu dem japanischen Publikum – und läßt die Menschen an diesem Abend nicht mehr los.

1937 wurde Kim von einem koreanischen Arbeitsmakler angeheuert. Er versprach gut bezahlte Küchenarbeit in China. Drei Tage lang fuhr sie mit fünf anderen Frauen im Zug und gelangte schließlich in ein kleines Dorf in Nordchina. Dort hatte die kaiserlich-japanische Armee in dem von ihr besetzten Land dreihundert Soldaten stationiert.

„Diese Soldaten waren wie Hunde“, keucht Kim fast lautlos. Nur an dieser Stelle verzieht sich ihr Gesicht, und der Schmerz, der hinter den Worten steht, wird einen Augenblick sichtbar. Sie insistiert: „Man konnte nicht glauben, daß es Menschen waren.“ Ungefähr zehnmal am Tag wurde Kim von ihnen vergewaltigt. Manchmal geschah es dreißigmal pro Tag. Mit Gewalt wurde sie zu ihrem Sklavinnendienst gezwungen. Die meist angetrunkenen Soldaten waren aggressiv und sparten nicht mit rassistischen Beschimpfungen. Nur die Offiziere benutzten Kondome. Wenn die Armee weiterzog, zogen die Frauen mit.

Kim Hak Sun schließt ihren Bericht mit nüchternen Sätzen: „Ich will, daß die Tatbestände geklärt werden und daß den jungen Leuten das Wissen um die Dinge weitergegeben wird. Damit sich das nicht wiederholt.“ Am nächsten Tag drucken es die japanischen Zeitungen in Millionenauflage. Kurz später folgen die New York Times und die Zeitungen in ganz Asien. Denn in den langen 47 Jahren, die seit dem Kriegsende vergangen sind, war Kim die erste, die den Japanern die Geschichte der Jugun ianfu erzählte: Jener Frauen, die – wie es der japanische Begriff wörtlich unterstellt– „der Truppe folgen, um sie zu trösten“.

Seit Kims Vortrag in Tokio ist fast ein Jahr vergangen. Die Jugun ianfu sind längst zum vielzitierten diplomatischen Thema rund um den Pazifik avanciert. Kim hatte einen Stein ins Rollen gebracht. Inzwischen sind es über ein Dutzend koreanischer Frauen, die nun wie Kim in Tokio Klage gegen die japanische Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen. Der Prozeß am Tokioter Gerichtshof wurde im Frühling eröffnet. Die bisher letzte Anhörung ging gestern zu Ende. In Südkorea haben sich Regierung und Öffentlichkeit längst mit Vehemenz hinter die Klagenden gestellt.

Auch in anderen Ländern Asiens erwacht die böse Erinnerung. In Taiwan unterstützte eine Gruppe Parlamentsmitglieder die Entschädigungsforderungen von Frauen, die unter Wahrung ihrer Anonymität angaben, zu Sexdiensten für die japanische Armee gezwungen worden zu sein. Philippinische Frauengruppen in Manila demonstrierten noch vor wenigen Tagen, um eine Entschuldigung der japanischen Regierung für ihre Sexverbrechen an philippinischen Frauen einzufordern.

Nach neuen Dokumenten, welche die japanische Regierung in diesem Jahr unter dem Druck der Proteste veröffentlichte, schätzen Historiker die Zahl der Opfer auf 100.000. Von ihnen sollen achtzig Prozent aus dem besetzten Korea stammen, die übrigen aus Taiwan, Indonesien, den Philippinen und China. Auch Japanerinnen befanden sich unter den Opfern.

Die neuen Dokumente belegen auch, wie systematisch die kaiserliche Armee sämtliche Truppen mit den Frauen versorgte. Je 100.000 Soldaten wurden etwa dreitausend Frauen zugestellt. Wie diese grausame Praxis ersonnen wurde, schildert der japanische General Yasuji Okamura in seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1938: „Mir ist es zwar peinlich, aber ich selbst hatte als erster den Gedanken an diese Frauen. Den Anlaß gaben unsere Zusammenstöße mit chinesischen Truppen in Schanghai. Dabei wurden viele chinesische Frauen von japanischen Soldaten vergewaltigt. Diese Vergewaltigungen gibt es heute nicht mehr, und darüber freuen wir uns. Denn alle unsere Truppen haben nun ihre Begleitung.“

Quellen wie das Tagebuch des Generals Okamura hatten in Japan zuvor niemals Beachtung gefunden. Nun deckten die Interessierten sie endlich auf. Für die Regierung in Tokio aber folgte eine Blamage auf die andere. Unbekümmert hatte der zuständige Staatsminister und Regierungssprecher Koichi Kato nach den Enthüllungen Kims in Tokio alle Forderungen zurückgewiesen: Die Vergewaltigungen während des Krieges, so wiederholte Kato die bis dahin gültige Geschichtsversion, seien die Angelegenheit privater Firmen gewesen. Staat und Armee hätten damit nichts zu tun gehabt. Den Äußerungen folgte ein Aufschrei der Empörung in Südkorea. Mißmutig lenkte Tokio ein. Bei seinem Staatsbesuch in Seoul zu Jahresbeginn sprach der japanische Premierminister Kiichi Miyazawa unter Bedrängnis der Koreaner eine seltene, direkte Entschuldigung an die vergewaltigten Frauen aus.

Damit aber begann der historische Streit, der bis heute nicht enden will. Zwar hat Tokio eingeräumt, daß die kaiserliche Armee an der Organisation der Sexverbrechen beteiligt war. Doch nun gibt die Regierung eine noch unverschämtere Erklärung: Nichts beweise, erklärte Staatsminister Kato im August, daß diese Frauen zu ihren Diensten gezwungen wurden. Ansonsten halte sich Tokio an den Staatsvertrag mit Südkorea von 1965, der alle Entschädigungsfragen endgültig regelt. Doch seit Kim geredet hat, weiß die japanische Regierung wieder, daß es für ihr Land vor der Vergangenheit kein Entrinnen gibt.

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