Genossen ohne Mumm und Mut

■ In der SPD sidn mittlerweile alle Stimmen gegen den Asylkompromiß zum Schweigen gekommen. Kommenden Montag wird auch der Parteirat den orschlag abnicken

Genossen ohne Mumm und Mut

Irgendein Ventil muß der Unmut in der Partei ja haben. Schon deshalb geht denn der zweite Mann im SPD-Bezirk Hannover, der Landtagsabgeordnete Wolfgang Jüttner, von „heftigen Auseinandersetzungen“ im SPD-Parteirat aus, der am kommenden Montag über die Bonner Anti-Asyl-Beschlüsse befinden soll. Seit der Bonner Einigung hat Schröders Stellvertreter im Bezirksvorsitz viele Anrufe entgegennehmen müssen, in denen „auch gewichtige Leute aus der Partei deutlich ihre Wut kundgetan“ haben. Der Parteirat, so der überwiegende Tenor, müsse sich nun mindestens darauf festlegen, daß zunächst Flüchtlingsabkommen mit Polen und der ČFSR abzuschließen seien, bevor das vereinbarte Paket in Kraft treten könne.

Dies entspricht der Rückzugslinie Gerhard Schröders. Mit seinem Kompromißvorschlag hatte ja gerade der niedersächsische Ministerpräsident für das Ja des SPD- Sonderparteitages zur Änderung des Artikels 16 gesorgt. Nun kommt er mit leeren Händen aus den Verhandlungen. „Im Präsidium meiner Partei habe ich deutlich gemacht, daß der Polen betreffende Teil der Vereinbarung erst umgesetzt werden kann, wenn ein Vertrag mit Polen vorliegt“, sagte Schröder gestern am Rande der Landtagssitzung.

In einer Regierungserklärung zu „Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit“ klagte Niedersachsens Ministerpräsident vor seinem Landtag gestern erneut ein, was in Bonn auf der Strecke blieb: ein Einbürgerungsrecht, das „sich vom Mythos des deutschen Blutes“ löst. Später, draußen vor dem Saal gefragt, inwieweit der Asylkompromiß denn nun die Stellung der Ausländer verbessere, fehlen Gerhard Schröder die Worte. „Die Vereinbarung ...“, so setzt er an und geht dann auf das Stichwort „Paketlösung“ hin gesenkten Kopfes von dannen. Die Einführung der Doppelstaatsbürgerschaft und ein Einwanderungsgesetz waren für Schröder immer unverzichtbare Bestandteile seiner „Paketlösung“. Jetzt heißt die Formel: „Ich halte die Bonner Vereinbarung im Prinzip für vertretbar“, er habe schließlich nur versucht, im Auftrag der Partei seinen juristischen und politischen Sachverstand einzubringen.

Gegen Schröder persönlich, so sagt zumindest sein Stellvertreter, richte sich der Unmut im hannoverschen SPD-Bezirk dennoch nicht. Vielmehr sei wohl die Zusammenarbeit innerhalb der Sozialdemokraten in der Bonner Verhandlungsrunde „schlecht“ gewesen. Schröders Forderung nach der Einführung einer Doppelstaatsbürgerschaft etwa sei nicht nur von der Union abgelehnt, sondern auch von den anderen SPD-Vertretern kaum unterstützt worden.

Austritte hat man allerdings wegen der Bonner Asyl-Beschlüsse in der Zentrale des SPD-Bezirks noch nicht registriert. Der hannoversche Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, der noch auf dem Sonderparteitag standhaft eine Änderung des Artikels 16 abgelehnt hatte, meint denn auch: „Die Stimmung vor Ort ist gedrückt, aber die SPD wird wohl zähneknirschend dem Ausgehandelten zustimmen.“

Das gilt auch für die Genossen in Hessen, die hinter vorgehaltener Hand und off record den Kompromiß zwar scharf kritisieren: „So haben wir uns das nicht vorgestellt.“ Öffentlich wollen sie aber nicht noch einmal in die Bütt. Bislang hat sich nur die Vorsitzende des SPD-Bezirks Hessen-Süd und Bundestagsabgeordnete ihrer Partei, Heidemarie Wieczorek-Zeul, aus der Deckung gewagt: Gegen die Beschlüsse des SPD-Bundesparteitages seien der ČSFR und Polen alle Lasten der Fluchtbewegungen aus Osteuropa aufgebürdet worden. Eine solche „einseitige Regelung“, so Wieczorek- Zeul, sei „unakzeptabel“. Außerdem dürfe die Durchreise durch ein europäisches Nachbarland nicht von vornherein zum Ausschluß aus dem individuellen Asylverfahren führen.

Im ampelregierten Bremen raffte sich dazu nicht einmal ein Genosse öffentlich auf. Statt dessen herrscht innerparteiliche Ratlosigkeit. Wie Schröder hatte sich im Vorfeld des Sonderparteitages der damalige Bremer SPD-Vorsitzende Horst Isola intensiv an der Formulierung des Asylkompromisses beteiligt und ihn zu Hause so interpretiert, daß sich in der Praxis nichts ändere, da die Drittländer-Klausel nur verschwindend wenige Asylbewerber betreffe. Entsprechend verunsichert reagiert die Bremer SPD jetzt, nachdem der politische Sinn des Asylkompromisses zwischen der SPD und der Kohl-Regierung sichtbar wird: Mit der Drittländer-Klausel hat sich die BRD ein Faustpfand für europäische Verhandlungen über Asyl-Quoten geschaffen, bei dem es nicht mehr um das Grundrecht auf Asyl in einem vereinigten Europa geht, sondern nur um die Verteilung der Lasten und Kosten.

Bleibt für die rot-grünen Bundesländer die Frage, wie sie sich im Bundesrat zu der „Drittländerfrage“ verhalten. Hessens Regierungssprecher Erich Stather stellte bereits klar, daß die von den Grünen geforderte Enthaltung des Landes bei der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat über das Kompromißpaket zu „keinen Problemen“ innerhalb der Landesregierung oder der rot-grünen Koalition führen werde. Für das Land Hessen wird ohehin der grüne Minister für Umwelt, Energie und Bundesangelegenheiten, Joschka Fischer, im Bundesrat abstimmen. Und Fischer – das ist den Sozialdemokraten klar – wird niemals die Hand für den „sogenannten Kompromiß“ heben.

Dasselbe gilt für Niedersachsen. Der grüne Bundesratsminister Jürgen Trittin hat den Umfall der SPD heftig kritisiert und wird Fischer in nichts nachstehen. Und auch der kommissarische Bremer Landesvorsitzende Harald Stelljes, der den über die Asylfrage gestrauchelten Horst Isola vertritt, erinnert an eine Bremer Koalitionsvereinbarung: Dort hatten die Ampelpartner SPD, FDP und Grüne vor fast genau einem Jahr ihre Ablehnung einer Änderung des Asylrechtsartikels festgelegt. Bremen soll im Bundesrat entsprechend abstimmen. Jürgen Voges, Klaus Wolschner,

Klaus-Peter Klingelschmitt