: Der Arzt ist verantwortlich
■ Interview mit Dr.Gerd Glaeske, Pharmakologe
taz: Dr.Glaeske, welche Rolle spielt Rohypnol bei den Verschreibungen in Deutschland?
Dr. Glaeske: Rohypnol ist das am meisten verordnete Schlafmittel in der Bundesrepublik. Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen wurde es 1991 fast 2,6 Millionen mal eingesetzt. Aber Benzodiazepine führen schon nach sechs, acht Wochen zur Gewöhnung, später zur Abhängigkeit.
Wann sollten Benzodiazepine auf keinen Fall verordnet werden?
Eine wesentliche Kontraindikation liegt vor, wenn bereits irgendeine Form von stofflicher Abhängigkeit vorhanden ist, sei es von Alkohol, anderen Drogen oder Arzneimitteln.
Welches Risiko gehen die Ärzte ein, die das Mittel trotzdem verordnen?
Der Arzt verordnet das Mittel dann in einer ungerechtfertigten Indikation, außerhalb der legalen Anwendungsbereiche und damit auch außerhalb der Haftpflicht des Herstellers. All das, was dem Patienten während der Therapie mit Rohypnol passiert – ob er stirbt, einen Verkehrsunfall oder sonstige Schäden hat – könnte also auf die Haftpflicht des Arztes zukommen.
Warum wird das Mittel Abhängigen trotzdem verordnet?
Vielleicht verschreiben Ärzte Rohypnol guten Willens, weil sie den Abhängigen helfen wollen und die Ärzte keine andere Möglichkeit sehen.
Wird Rohypnol verordnet, weil Polamidon so schwer zu verschreiben ist?
Das könnte einer der Gründe sein.
Polamidon wäre das bessere Mittel der Wahl bei vorliegender Heroin-Abhängigkeit?
Auf jeden Fall, schon weil Rohypnol überhaupt kein Mittel der Wahl in diesen Fällen ist. Ich halte Polamidon nicht für den Königsweg, aber es muß bei vorliegender Heroin-Abhängigkeit angstfrei verordnet werden können.
Welche Möglichkeiten haben die Aufsichtsbehörden, die Rohypnol-Verschreibungen unter Kontrolle zu bringen?
Die Aufsichtsbehörden sind immer dann zum Handeln verpflichtet, wenn klar ist, daß ein Mittel nicht mehr sachgerecht eingesetzt wird. Dann sollte eine Expertenkommission die Gefährdung bewerten und könnte eine Indikations- oder auch Vermarktungsbeschränkung erlassen.
Liegen diese Voraussetzungen bei Rohypnol vor?
Meiner Ansicht nach ja.
Interview: Andreas Juhnke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen