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Die Parabel von den Fremden in Frankfurt

Drei Tage lang tagte ein Kongreß zu „Formen der Integration und Ausgrenzung“ von Ausländern in Einwandererländern. Die Schlußdebatte war Skandal und Lehrstück zugleich  ■ Von Thomas Schmid

Frankfurt (taz) – Man kann es drehen und wenden, wie man will, es ist eben ein echter Karl Valentin: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“. Das Diktum des Münchner Komikers zieht den logischen Schluß nach sich, daß im eigenen Land der Fremde kein Fremder ist — eine Tautologie. Doch wo ist das eigene Land? Da, wo man herkommt? Oder da, wo man aufgewachsen ist? Oder da, wo man arbeitet und lebt? Da, wo man eben kein Fremder ist. Aber wer bestimmt denn, wo jemand nicht fremd ist? Der Fremde selbst? Oder das deutsche Gesetz?

Das Motto des dreitägigen Kongresses über „Formen der Integration und der Ausgrenzung in Einwanderungsländern“, der am Sonntag in Frankfurt am Main zu Ende ging, war also zweifellos gut gewählt. Es regte an, über das Fremde im Eigenen, über Projektionen des Eigenen in den Fremden, über Imaginationen des andern nachzudenken. Der Kongreß war mit hochkarätigen Referenten bespickt, gab zu viel Reflexionen, doch wenig Streit Anlaß und endete in einem Eklat: Auf der abschließenden Podiumsdiskussion waren die westdeutschen Politiker unter sich.

Und das kam so: Wilhelm von Sternburg, Chefredakteur des Hessischen Rundfunks, der die Schlußdebatte für sein eigenes Haus moderieren sollte, stellte eine Stunde vor Beginn derselben fest, daß neun Diskutanten ein bißchen viel sind für nur 55 Minuten Sendezeit. Lieber wären ihm nur fünf Personen auf dem Podium. Also lud er einige, die eingeladen waren, just dort zu sitzen, kurzerhand aus, oder er lud sie dazu ein, wenn man so will, sich nach 55 Minuten in einer zweiten Phase dem Gespräch anzuschließen.

Eines der Opfer der reichlich späten Einsicht Sternburgs war der türkische Schriftsteller Zafer Senocak, als Gast eingeflogen aus Berlin, auf dem Programm angekündigt als Podiumsteilnehmer. Der nun sah nicht ein, weshalb bei der Diskussion über „Integration oder Ausgrenzung“ just er, immerhin Angehöriger der größten ethnischen Minderheit in Deutschland, am Podiumstisch fehlen sollte. Schließlich gab Sternburg dem Protest nach und überredete statt dessen den iranischen Publizisten Bahman Nirumand, aufs Podium zu verzichten. Der war auch bereit dazu, doch Senocak ließ es sich nicht bieten, daß nur seinetwegen nun Nirumand fehlen sollte, und gab völlig entnervt bekannt, daß er unter diesen Bedingungen nicht mehr zur Verfügung stehe. Das wäre dem Moderator gerade recht gekommen — wenn nur Nirumand nun wieder zu gewinnen gewesen wäre. Doch der hatte jetzt die Schnauze von der widerwärtigen Kungelei ebenfalls voll. Er wolle nicht den Alibi-Ausländer spielen, erklärte er dem Publikum. Um die Situation zu retten, bot Sternburg nun beiden Fremden an, sich aufs Podium zu setzen. Er habe wirklich keine Hintergedanken gehabt, entschuldigte er sich öffentlich. Logisch — wer keine Gedanken hat, kann auch keine Hintergedanken haben. Jedenfalls war es nun zu spät.

Ebenfalls gedankenlos und nicht weniger gutwillig als Sternburg zeigte sich Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD-Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Feierlich kündigte sie an, sie werde nun zu Nirumand schreiten, um ihn an der Hand zu nehmen und aufs Podium zu führen. Was als Versöhnung gedacht war, kam als — frau verzeihe das Wort in diesem Zusammenhang, aber es trifft nun mal— paternalistischer Gestus daher. Nirumand lehnte ab. Auch die verzweifelte Offerte Sternburgs, die Moderation des Gesprächs an ihn abzugeben, wies der Iraner kopfschüttelnd zurück. Lehrstück zu Ende. Vorhang.

Vorhang auf. Am Tisch sitzen vier Westdeutsche — der einzige eingeladene Gast aus Ostdeutschland, Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter von Bündnis90/ Grüne, war ebenfalls vom Podium ins Publikum verwiesen worden. Vermutlich ohne Hintergedanken, sicher jedenfalls ohne Gedanken.

Der erste von den vieren, Daniel Cohn-Bendit, ehrenamtlicher Stadtrat für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt/M., redet Tacheles. Es geht um den sogenannten Asylkompromiß der CSUCDUFDPSPD. „Man kann doch nicht von Asylrecht sprechen, wo keiner mehr reinkommt“, schreit der Grüne, und „es ist kaltherzig, wenn man in diesen historischen Tagen, wo die Bundesrepublik so erschüttert wird von rassistischen Angriffen, nicht in der Lage war, das rassistischste aller rassistischen Gesetze der Bundesrepublik, nämlich das Staatsangehörigkeitsrecht, das ein Blutsrecht ist, wenigstens jetzt zu verändern. Und deswegen sage ich, daß alle Personen, die bei diesem Kompromiß dabei waren und nicht schreiend rausgegangen sind, sich politisch schuldig gemacht haben für das, was passiert ist.“ Die Empörung ist nicht gespielt. Offenbar als einziger auf dem Podium hat Cohn-Bendit begriffen, welche historische Chance hier vertan wird. Der Kompromiß, der die Ausländer weiterhin ausgrenzt, so warnt er abschließend, setzt den sozialen Frieden aufs Spiel.

Die zweite, Heidemarie Wieczorek-Zeul, von Cohn-Bendit frontal angegriffen, eiert herum, bis sie sich zur Aussage durchringt: „Ich werde diesen Kompromiß nicht mittragen.“ Aber welches Gewicht hat der späte Protest? Gestern tagte der SPD-Parteirat, heute entscheidet die Fraktion. Im Eiltempo soll der Beschluß des Sonderparteitages vor einem Monat nun hinweggefegt werden.

Der dritte, Ignatz Bubis, Vorsitzender des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland und FDP-Mitglied, spricht von einem „Wischiwaschi-Modell der erleichterten Einbürgerung“ und mit Verweis auf den Populismus der Parteien davon, daß die Gewalttäter, die „letztlich eine andere Republik wollen“, sich bereits durchsetzen. Doch einen systematischen Zusammenhang zwischen der sich immer weiter ausbreitenden rassistischen und antisemitischen Gewalt und der weiteren Ausgrenzung der Fremden, wie sie vom Asylkompromiß bestätigt wird, vermag er nicht herzustellen.

Über den vierten, Ulf Fink, Vorsitzender der CDU Brandenburg, gibt es nichts Berichtenswertes zu reportieren.

Vier Podiumsteilnehmer, vier Parteien. Eingeladen, aber aus erwähnten Gründen nicht auf dem Podium waren: zwei Fremde, ein Ostdeutscher, der Psychoanalytiker Mario Erdheim und Herbert Leuninger, Sprecher von Pro Asyl.

Einen solchen Abschluß hat der Kongreß, der vom S. Fischer-Verlag und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, beide wohl unschuldig am Eklat vom Sonntag abend, umsichtig organisiert wurde, bei Gott nicht verdient. Wie gesagt, die Referenten waren hochkarätig, und ihre Beiträge regten zum Nachdenken an. Es sprachen der Politologe Claus Leggewie und der Zeithistoriker Dan Diner, der Theologe Johann Baptist Metz und der Verfassungsrechtler Günter Frankenberg, der Kulturanthropologe Werner Schiffauer (s. seinen Beitrag in der taz vom letzten Samstag) und die Schriftstellerin Saliha Scheinhardt, die Pariser Politologen Etienne Balibar, Gilles Kepel und Franois Dubet, aus den USA der Soziologe George Lipsitz, die Literaturwissenschaftlerin Elaine Scarry und die Schriftsteller Darryl Pinckney und Scott Monaday, der Frankfurter Publizist Thomas Schmid (nicht identisch mit dem Autor dieses Artikels) und die Schweizer Ethnologin Maja Nadig sowie der Wirtschaftswissenschaftler Bert Rürup. Viele kluge Worte sind gefallen. Doch nichts war so erhellend wie das Lehrstück vom Sonntag abend, die Parabel von den deutschen Politikern oben am Tisch und den zwei fremden Publizisten im Publikum. Fremd ist der Fremde auch in der Fremde in Frankfurt.

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