Rühe fürchtet „internationale Verachtung“

Verteidigungsminister will Bundeswehr auf Out-of-area-Einsätze ausrichten/ „Krisenreaktionskräfte“ mit zwei Divisionen geplant/ CDU für Militärintervention in Bosnien  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) läßt die Bundeswehr in ihrer Ausrüstung und Struktur auf die Teilnahme an Out-of-area- Einsätzen ausrichten. Neben den zwei Bataillonen für Blauhelm- Einsätze, die ab Oktober 1993 in Calw und Bad Reichenhall für den Fall eines Rufs der UNO bereitstehen sollen, will Rühe bereits 1995 eine Brigade der neuzuschaffenden „Krisenreaktionskräfte“ (KRK) in Bereitschaft haben.

Der Verteidigungsminister teilte gestern nach einer Planungskonferenz seines Ministeriums Details der Planung mit. Von den insgesamt 370.000 Mann, auf die die Bundeswehr bis Ende 1994 beschränkt werden muß, sollen die „präsenten und rasch einsatzbereiten Truppenteile“ der KRK in der Endstufe eine Heeresdivision für das Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) sowie eine weitere Division für das Eurokorps umfassen. Eine Heeresdivision zählt etwa 20.000 Mann. Die Marine werde sich unter anderem mit sechs Fregatten und acht U-Booten beteiligen und damit insgesamt 40 Prozent ihrer Kräfte für die multinationalen Eingreifverbände bereitstellen.

Die Bundeswehr sei heute noch „optimiert auf Situationen, die es nicht mehr gibt“, meinte Rühe. Jetzt müßten sich „die Streitkräfte auf die neuen Aufgaben der Zukunft ausrichten“. Verweigere Deutschland weiterhin eine Beteiligung an internationalen Militäraktionen, „trifft es die internationale Verachtung“. Die KRK-Verbände würden „behutsam“ aufgebaut, versicherte der Minister. So werde bis zum Jahr 2006 das Endausbaustadium erst zur Hälfte erreicht sein. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, versicherte, man habe nicht vor, gleichzeitig mehr als eine Division im Ausland einzusetzen. Diese „Selbstbeschränkung“ wahre man mit Rücksicht auf die deutschen Nachbarn.

Bei der Neubeschaffung von Rüstungsmaterial für die Bundeswehr will Rühe künftig „Prioritäten“ bei der Ausrüstung der KRK- Verbände setzen. 255 Leopard-II- Panzer sollen für die KRK nachgerüstet und in ihrem „Kampfwert“ gesteigert werden. Daneben sollen neue Hubschrauber entwickelt werden.

Gleichzeitig, so Rühe, habe er eine Reihe von Projekten gestoppt, die noch unter den Bedingungen der militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion geplant waren. Der Minister kündigte auch Finanzforderungen an andere Ministerien an. Die Kosten multinationaler Einsätze könnten nicht allein aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums finanziert werden.

Unterdessen wird in der CDU- Fraktion der Ruf nach einem militärischen Eingreifen in Bosnien- Herzegowina lauter. In der Fraktion gewinne diese Meinung fast schon Konsens, sagte der CDU- Abgeordnete Stefan Schwarz der taz. Angesichts der serbischen Kriegsverbrechen plädiere er dafür, daß internationale Verbände versuchen sollten, die Lufthoheit herzustellen und aus der Luft „gezielte Schläge“ auf alle serbischen Stellungen auszuteilen.

Auch das Waffenembargo gegenüber Bosnien gehöre aufgehoben. „Auf wieviel Tote wartet Kinkel noch?“ fragte der CDU-Abgeordnete mit Blick auf die Haltung des FDP-Außenministers Klaus Kinkel. Schwarz verteidigte den Rücktritt des Postministers Christian Schwarz-Schilling. Jeder, der dem Minister unterstelle, er sei nicht aus Enttäuschung über die deutsche Bosnien-Politik zurückgetreten, sei ein „Charakterschwein“.

Unterdessen lehnte Rühe ein militärisches Eingreifen in Ex-Jugoslawien erneut ab. Es gebe „einige wenige Orte“ auf der Welt, an denen man aus historischen Gründen keine deutschen Soldaten einsetzen könne.

Auf die Frage nach dem Waffenembargo gegen Bosnien meinte der Minister lediglich, sollte die UNO mehrheitlich seine Aufhebung beschließen, „sollten wir das sicherlich unterstützen“.