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Richtig- und Falschmachen

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert unverdient knapp mit 1:3 in Brasilien, weil die Brasilianer nichts richtig falsch machten  ■ Von Thomas Winkler

Porto Alegre (taz/dpa) – Freundschaftsländerspiele sind ein Greuel. Es geht um nicht mehr als die Ehre – ein Begriff, dessen Bedeutung nicht nur Fußballprofis in letzter Zeit verstärkt abhandengekommen ist. So ist die Angst zu verlieren größer als die Lust, zu gewinnen. Denn eine Niederlage ist halt peinlich, ein Sieg nichts wert. Unentschieden sind deshalb das beliebteste Ergebnis. Aber – und da sind sich die wegbleibenden Zuschauer und der Bundesberti einig – nicht das Ergebnis zählt, sondern wie es zustande gekommen ist. „Es ist keine Schande, in Brasilien 1:3 zu verlieren“, sprach der Berti und fügte hinzu: „Aber nicht in dieser Art und Weise.“

Wir lernen also, daß die alte Weisheit, im Fußball würden nur die Tore, respektive daß man eines mehr erzielt als der Gegner, zählen, nicht mehr stimmt. All die bei Fußballphilosophen so beliebten tautologischen Weisheiten sind zwar noch richtig, aber eben nicht mehr die Essenz des Spiels. Der Ball bleibt weiterhin rund, aber das tut nichts mehr zur Sache. So fiel das 1:0 für die Brasilianer nicht, weil die so gut waren, sondern weil „wir nicht aufgepaßt haben“, wie Jürgen Kohler es hinterher zu formulieren pflegte. Mithin merke man, daß man nur selbst was falsch machen kann, der Gegner aber nichts richtig. Messerscharf dürfen wir schließen, daß Luis Henrique, als er mutterseelenallein am Strafraum stand und den Ball aus dem Fußgelenk ebenso elegant wie hart in den rechten Winkel beförderte, zumindest nichts falsch gemacht hat. Falsch gemacht hat was die von Beckenbauer für das WM- Viertelfinale 1990 gegen Holland erfundene Fünfer-Abwehr, die seitdem Kultgegenstand für deutsche Nationalmannschaften ist. Ihr Fehler in der 39. Minute war sehr offensichtlich: Sie war nicht da. Wäre sie an Ort und Stelle gewesen, hätte Luis Henrique vielleicht danebengeschossen oder übers Tor, oder...

Das 2:0 nur drei Minuten später belegte noch eindrucksvoller die neue Philosophie, die wie fast jede andere Heilslehre halt auch nur eine Umdefinierung allseits bekannter Tatsachen darstellt. Der überragende Luis Henrique spielte einen Beinschen Flachpaß in den Lauf von Bebeto, und der herausstürzende Bodo Illgner entschloß sich, den Ball nicht zur linken Seite, nicht zur rechten Seite, nicht über den eher kleinen Bebeto hinwegzudreschen, sondern ihn genau auf dem Kopf des Stürmerstars von La Coruna zu plazieren, von wo aus das Leder seinen Weg in einem hohen und überaus gemütlichen Bogen ins Tornetz fand.

Ein Nebenkriegsschauplatz dieser Südamerika-Reise ist bekanntermaßen ja der Wettstreit zwischen Andreas Köpke und Illgner um den Stammplatz zwischen den deutschen Pfosten, und seit der Schlußsekunde dürfte sich der Kölner Schlußmann auf absehbare Zeit von demselben verabschiedet haben. Der bayerische Brasilianer Jorginho blickte von der rechten Seitenauslinie in Richtung Tor, blickte auf den Ball, hielt drauf, Illgner veranstaltete beim Zurücklaufen eine Rolle rückwärts, und der Ball war im Tor. Illgner hatte ganz eindeutig was falsch gemacht, sich nämlich zu weit vor seinem Tor herumgetrieben, vielleicht um – in Erwartung des nahenden Schlußpfiffes – den Weg in die Kabine zu verkürzen. „Ich wollte lediglich eine Flanke schlagen“, meinte Jorginho hinterher. Er hatte also nicht wirklich was richtig gemacht.

Ein noch schöneres Beispiel für diese Art, Dinge auszudrücken, war der Gegentreffer. Die Brasilianer verhunzten eine Abseitsfalle so gründlich, daß der gerade eingewechselte Matthias Sammer sich auf dem Weg zum Tor mehrfach verzweifelt nach Hilfe umschaute, dabei immer langsamer wurde und schließlich mangels anderer Möglichkeiten versuchte, Torhüter Taffarel anzuschießen, um den Torerfolg zu verhindern. Der war darob so verdutzt, daß er sich in einer wilden Bewegung um den Ball schlang, der ins Tor hoppelte.

Als alles vorbei war, war sich jedermann einig, daß die Deutschen so ziemlich alles falsch gemacht hatten. Deswegen hatten die Brasilianer gewonnen, nicht weil sie was richtig gemacht hatten, aber das genügte Trainer Carlos Parreira: „Ich bin glücklich.“ Nur Lothar Matthäus mußte wieder aus der Reihe tanzen: „Die Moral hat gestimmt, auch nach dem 0:2“, dabei sollte er doch wissen, daß Moral nur was nützt, wenn es um die Ehre geht, und um die geht's halt nicht mehr.

Es geht darum, nichts falsch zu machen, das hat auch das in Rio erscheinende Jornal do Brasil längst erkannt: „In diesem Spiel waren nicht gerade Brasiliens Tugenden entscheidend, sondern die überaus schweren Mängel der Deutschen.“

BRD: Illgner (Köln) - Buchwald (Stuttgart) - Wörns (Leverkusen), Kohler (Juventus Turin) - Wolter (Bremen - 59. Zorc/Dortmund), Häßler (AS Rom - 80. Sammer/Mailand), Matthäus (Bayern München), Effenberg (AC Florenz), Wagner (Kaiserslautern - 46. Knut Reinhardt/Dortmund) - Klinsmann (Monaco), Thom (Leverkusen - 68. Doll/Lazio Rom)

Zuschauer: 45.000

Tore: 1:0 Luis Henrique (39.), 2:0 Bebeto (42.), 2:1 Sammer (85.), 3:1 Jorginho (90.)

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