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„Gott, hilf den Arbeitslosen“

In Irland fördern die Gelder der EG soziale Ungleichheit/ Regierungschef Reynolds freut sich über neue Milliarden aus dem Kohäsionsfond  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Irland ist beim EG-Gipfel in Edinburgh auf eine Goldader gestoßen – wenn man Premierminister Albert Reynolds glauben darf. Bei dem Finanzpaket, das die Europäische Gemeinschaft auf ihrem Gipfel in der schottischen Hauptstadt in letzter Minute geschnürt hat, sollen für Irland bis 1999 insgesamt acht Milliarden Pfund (ca. 21 Milliarden Mark) abfallen: sieben Milliarden aus dem Strukturfonds, eine Milliarde aus dem Kohäsionsfonds. Ziel dieser Töpfe ist es, die Schere zwischen armen und reichen EG-Ländern zu verringern. Doch der gute Wille aus Brüssel – wenn man ihn einmal unterstellt – reicht alleine nicht.

Die offiziellen Zahlen seit 1989, als die Fonds eingerichtet wurden, belegen, daß die EG-Gelder zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit innerhalb Irlands geführt haben. Hauptursache dafür ist der Status der Grünen Insel: Neben Griechenland ist Irland das einzige EG-Land, das in vollem Umfang als „Ziel-Eins-Region“, also als besonders benachteiligtes Gebiet, eingestuft wurde. Die Entscheidungen über die Vergabe der irischen EG-Gelder werden aufgrund des zentralistischen Systems ausnahmslos in Dublin getroffen. Der Westen der Insel, eine der strukturschwächsten Regionen Europas, darf nicht mitreden.

Die Folge ist, daß die Arbeitslosigkeit dort überproportional angestiegen ist. Selbst wenn man die europaweite Rezession berücksichtigt, spricht die Statistik eine deutliche Sprache: In Westirland verfügen heute sechs Prozent weniger Menschen über einen Job als noch vor drei Jahren, im Osten der Insel sind es dagegen nur zwei Prozent. Landesweit ist die Arbeitslosigkeit im selben Zeitraum von 17,9 auf 22 Prozent gestiegen, im EG-Schnitt jedoch nur um ein halbes Prozent auf neun Prozent.

Am stärksten ist davon die irische Landwirtschaft betroffen: Obwohl dieser Sektor 70 Prozent aller irischen EG-Gelder kassiert, wurden dort 28 Prozent der Arbeitsplätze vernichtet. Auch die Preissubventionen, die immerhin 1,5 Milliarden Pfund im Jahr ausmachen, konnten das nicht verhindern. Den Löwenanteil – nämlich 80 Prozent – verteilt das Fünftel der reichen Großfarmer unter sich. Für die Entwicklung der ländlichen Regionen stehen dagegen nicht mal fünf Millionen Pfund zur Verfügung.

In anderen Bereichen ist die Situation nicht besser. So hat die irische Regierung 45 Prozent der Gelder aus dem Regional-Entwicklungsfonds für den Transportsektor bereitgestellt. Drei Viertel davon sollen in den Straßenbau gepumpt werden, was bereits Umweltschutzorganisationen auf den Plan gerufen hat – zum Teil mit Erfolg: Die östliche Dubliner Umgehungsstraße, die streckenweise unterirdisch verlaufen sollte, wurde begraben. Die hundert Millionen Pfund, die dafür reserviert waren, sind allerdings futsch, da das Geld projektgebunden war.

Den Arbeitslosen und Einkommensschwachen nützen die neuen mehrspurigen Straßen freilich nichts, aber sie profitieren auch kaum von den restlichen 25 Prozent des Geldes für den „öffentlichen Transport“. Unter diesen Begriff fällt nämlich auch die Verbesserung der Luft- und Seewege, wofür 22,3 Prozent vorgesehen sind. Es bleiben also lächerliche 2,7 Prozent für Bus und Bahn. Besonders anschaulich wird die inadäquate Ausgabenpolitik, wenn man eine Regionalstatistik hinzuzieht, die auf einer neuen EG-Untersuchung beruht: Im westirischen Connemara besitzen nur zehn Prozent der alleinstehenden RentnerInnen ein Auto, jedoch leben alle mindestens anderthalb Kilometer von der nächsten Bushaltestelle entfernt, viele sogar mehr als zwölf Kilometer.

Und auch der Europäische Sozialfonds lindert keineswegs die soziale Ungleichheit. Von den 783 Millionen Pfund, die Irland seit 1989 für diesen Bereich erhalten hat, wurden nur 72 Millionen in die Ausbildung von Schulabgängern ohne Qualifikationen investiert. Für die Weiterbildung von Langzeit-Arbeitslosen gab der Staat gar nur elf Millionen Pfund aus. Ein Drittel der Summe wurde dagegen für die Fortbildung im High-Tech- Bereich abgezweigt, um die weltweite Konkurrenzfähigkeit der EG-Arbeitskräfte zu sichern. Kein Wunder, daß die Genossenschaft der irischen Gemeindearbeiter vor kurzem resigniert feststellte: „Der Europäische Sozialfonds könnte zur sozialen Ungleichheit beitragen, statt sie zu reduzieren, wie es zu erwarten wäre.“

Die regierungseigene „Agentur gegen Armut“ fordert eine Neuorientierung beim Einsatz von EG-Geldern, um „die soziale und ökonomische Kohäsion innerhalb Irlands und anderer armer Länder“ ebenso zu fördern wie die Kohäsion innerhalb der EG. Auf dem Gipfel in Edinburgh wurde diese Problematik allerdings überhaupt nicht angesprochen. Reynolds, dessen politisches Überleben von den derzeitigen Koalitionsverhandlungen mit der Labour Party abhängt, redete dennoch vom „bemerkenswert erfolgreichen Ergebnis“ des Gipfels. Einige seiner Hinterbänkler wurden deutlicher: Sie bezeichneten die EG-Gelder als „Topf voll Gold“, den sie nicht aus den Händen geben wollen. Der Oppositionssprecher Jim O'Keeffe meinte dazu: „Gott, hilf den Arbeitslosen in diesem Land, wenn das die Einstellung der Regierungspartei ist.“

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