Die Stasi, hart am Feindobjekt taz

„Bei der TAZ handelt es sich um ein Sammelbecken linksgerichteter extremistischer, antisozialistischer Gruppen“/ Eine taz-Serie anhand nachgelassener Stasi-Akten, Teil 1  ■ Von Wolfgang Gast

Die Hausnummer 32 im Hamburger Nernstweg war Jan ziemlich suspekt. Das große, langgestreckte Gebäude machte einen schmuddeligen Eindruck, der dadurch verstärkt wurde, daß Dutzende alter oder zur Hälfte abgerissener Plakate die Fassade bedeckten.

An der Eingangstür wies ein Schild die Mieter des Hauses aus: oben, im fünften Stock, befand sich die Hamburger Lokalredaktion der taz, in der vierten Etage residierte eine Lohndruckerei. Darunter waren die Räume einer Beratungsstelle für türkische und jugoslawische Gastarbeiter. In der ersten und zweiten Etage waren eine ganze Reihe von Gruppen untergebracht, deren Namen Jan teilweise nicht kannte – die er auch gar nicht kennenlernen wollte. Die Umweltorganisation Robin Wood machte er aus, auch eine Bio-Beratungsstelle. Über die übrigen Mieter notierte er: „Obskure Vereinigungen mit ellenlangen Namen, die ich mir nicht merken konnte.“

Es war das zweite Mal, daß Jan das „Objekt“ aufsuchte. 1982, drei Jahre zuvor, hatte er es von außen fotografiert. Am 7.November 1985 suchte Jan schließlich auftragsgemäß die taz-Redaktion unter dem Dach auf. Schon hinter der Eingangstür bestätigten sich seine Vorbehalte. In seinem Besuchsprotokoll vermerkte er als ersten Eindruck: „Es ist unsauber und wenig einladend. Auch im Treppenhaus sind zahlreiche Infos, Beschriftungen, Parolen.“ Im fünften Stock, dem Ziel seiner Expedition ins alternative Milieu, war es auch nicht besser. Im Flur, rechts an der Wand, lagen auf dem Fußboden bestimmt ein Meter hohe Stapel alter, unverkaufter taz-Ausgaben. Jan: „schätzungsweise mehrere tausend Exemplare“.

Als er in den ersten, links liegenden Raum eintrat, telefonierte ein junger Mann. Mit seinem Gesprächspartner verhandelte er offenbar über irgendeinen Transport, notierte der Besucher. Nachdem der 28- bis 30jährige aufgelegt hatte, fragte Jan, wie es der taz denn so gehe. Am Vorabend habe er aus einem Bericht des TV-Magazins „Kennzeichen D“ erfahren, daß sich die Zeitung in einer finanziell sehr prekären Lage befinde. In seinen Aufzeichnungen hielt Jan später fest: „Weiter sagte ich, daß ich erst durch diesen TV-Bericht auf die taz und die anerkennenswerte Arbeit dieser jungen Leute aufmerksam geworden bin. Bisher hätte ich der SPD nahegestanden, sei aber enttäuscht, da diese zu wenig die Interessen der Arbeiter vertrete. Ich möchte mich daher mit der taz vertraut machen und zunächst eine kaufen.“

Eine aktuelle Ausgabe erhielt der Besucher kostenlos – mit der gut gemeinten Bitte, sie doch zu abonnieren, wenn sie ihm gefalle. Er könne aber auch gerne wiederkommen, wenn er weitere Fragen habe. Am Tag darauf erkundete Jan das nähere Umfeld der taz-Außenstelle. Zur besseren Beschreibung fertigte er per Hand eine Skizze an. In Hinterhof entdeckte er eine Werkstatt für umweltfreundliche Produkte. Ein Zettel am Eingang stach Jan in die Augen: „Es ist nicht unsere Absicht, Gewinne zu machen. Wir haben aber auch nichts dagegen, wenn es sich so ergeben sollte.“ Wieweit, und ob überhaupt eine Verbindung zwischen der Werkstatt und der taz bestand, konnte Jan nicht feststellen.

Mit den Spontis und Alternativniks konnte er nicht viel anfangen: das ganze Gebäude ist „offenbar ein Unterschlupf für alle möglichen autonomen, sich links und revolutionär, antifaschistisch und oppositionell gebärdenden Gruppierungen ohne einheitliche Führung“.

Jans proletarischer Geist stieß sich auch am linken Treff, dem Café Treibeis im gleichen Gebäudekomplex. Das Wörtchen links notierte er in Anführungsstrichen. Weiter vermerkte der Kundschafter, daß das Treibeis „das Täßchen Kaffee für 3,60 DM anbietet“. Sarkastisch merkte er an: „besonders zu empfehlen für den kleinen Arbeiter und den Erwerbslosen! Tchibo und Eduscho verkaufen die Tasse Kaffee schon für 70Pfg.“

Fünf Tage später, am 13.November, brütete Oberstleutnant Jessua, Leiter der ArbeitsgruppeXXII in der Potsdamer Bezirksverwaltung der Staatssicherheit, über dem Bericht seines Informanten. „Jan“ war der Deckname des Inoffiziellen Mitarbeiters, den seine Diensteinheit als „IMS“, als Inoffiziellen Mitarbeiter Sicherheit, führte. Jans Bericht sollte dem Leiter der AbteilungXXII/3, zuständig für „Terrorabwehr“, turnusgemäß zugehen.

Die HauptabteilungXXII/3 war federführend für die Bearbeitung der „Feindobjektakte“ (FOA) TAZ zuständig, die am 1.1.1986 unter dem Kürzel XV 1268/86 beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) angelegt wurde. Andere Gliederungen des Ministeriums, unter anderem die für Desinformation zuständige Abteilung unter der Ägide des Spionagechefs Markus Wolf, oder die für die Bekämpfung der Politischen Untergrund-Tätigkeit zuständige Hauptabteilung XX/4, mußten den Terrorexperten zuarbeiten. In einem Maßnahmeplan, den der Genosse Hauptmann Kranz im Ende Januar '86 verfertigte, liest sich die Einschätzung des MfS folgendermaßen:

„Bei der 'Tageszeitung‘ (TAZ) handelt es sich um ein journalistisches Sammelbecken linksgerichteter extremistischer, antisozialistischer Gruppen und Kräfte des Operationsgebietes.“

Operationsgebiet war ein Synonym, das die Stasi für die Bundesrepublik verwendete. Mit der „operativen Bearbeitung“ der taz sollten folgende

„Zielstellungen erreicht werden:

– rechtzeitige Erkennung und vorbeugende Verhinderung von staatsfeindlichen Aktivitäten gegen die DDR

– Beeinflussung der Berichterstattung in der 'TAZ‘ zur Veröffentlichung realer Einschätzungen über die Verhältnisse in den Ländern des real existierenden Sozialismus und zur Unterstützung der fortschrittlichen Kräfte in der BRD/WB [gemeint sind die Bundesrepublik und Westberlin, d.Red.] unter Nutzung des Differenzierungsprozesses innerhalb der Redaktion.“

Der Einfluß auf die Redaktion sollte durch eine „effektive operative Bearbeitung“, durch die „Abstimmung des erforderlichen Informationsbedarfs zwischen den beteiligten Abteilungen“, der „Prüfung des IM-Bestandes der AbteilungXXII auf Einsatzmöglichkeiten vorhandener Quellen“, der weitergehenden Identifizierung von taz-Mitarbeitern (96 waren zu diesem Zeitpunkt bereits in den Computern der Stasi gespeichert) sowie der „Aufklärung bestehender DDR-Verbindungen und Durchführung von Kontaktgesprächen mit den BRD-Bürgern zur Prüfung der operativen Nutzbarkeit“ erreicht werden. Auf deutsch: Die Stasi wollte unter den taz-Mitarbeitern weitere Spitzel anwerben. Ausweislich der Stasi- Akten sollten dazu die Inoffiziellen Mitarbeiter „Walther“ und „Franke“ sowie „weitere IM mit Reisemöglichkleit in das Operationsgebiet aus dem Bestand der AbteilungXXII/3“ eingesetzt werden. IM mit Reisemöglichkeiten waren DDR-Bürger, deren Auslandsreisen von der Stasi „operativ“ genutzt werden konnten.

Knapp drei Wochen später hielt Hauptmann Kranz in einem Bericht über die mit der HVA/X durchgeführte Absprache zur „FOA TAZ“ erste Erfolge fest:

„Beide Abteilungen versuchen, auf der Basis der Registrierung der Anträge von personifizierten Mitarbeitern der TAZ auf Einreise in die DDR, Kontaktierungen vorzunehmen und Quellen im Operationsgebiet zu schaffen. Dabei wurden in mehreren Fällen positive Ergebnisse erzielt.“

Die „operative Bearbeitung“ taz war zwar minutiös geplant, nahm aber des öfteren groteske Züge an. IM „Betty“, ausersehen, das taz-Büro in Hannover auszuspähen, berichtete am 10.Juli 1986 über den Korrespondenten vor Ort:

„Aus unserer kurzen Unterhaltung entnehme ich, daß er den 'Grünen‘ zumindest nahesteht. Dies führe ich vor allem auf seine Positionen hinsichtlich der Nutzung von Atomenergie und andere 'alternative‘ Vorstellungen zurück. Aus dem Gespräch war weiter zu entnehmen, daß er für den Regionalbereich Niedersachsen bis West-Berlin verantwortlich ist.“

Ein Blick in die Zeitung hätte den Besuch ersparen können. IM Betty hätte dann auch die richtige Schreibweise des Hannoverschen Kollegen Jürgen Voges finden können. Zu dessen Person charakterisierte sie:

„Alter ca. 30 Jahre, Größe ca. 180 – 185 cm, schlank, ungepflegtes Äußeres, lässig, schulterlange glatte und volle Haare, mittelblond. Mittelscheitel, schmales Gesicht, Raucher. Gez. Betty.“

Außer IM Betty und IM Jan berichtete aus der Berliner Zentralredaktion IM Carmen, in Bremen war der IM Franke aktiv. Deren Berichte konnten durch die Gauck-Behörde bislang nicht aufgefunden werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurden die Unterlagen dieser Inoffziellen Mitarbeiter vernichtet – wie auch die des IM Willy Waldorf, hinter dem sich das frühere Mitglied der Bewegung 2.Juni und der spätere taz- Redakteur Till Meyer verbarg.

Meyer hat seine Tätigkeit für die Terrorspezialisten zugegeben. Seine Beteuerung, nur Einschätzungen über die militante Linke aus Westdeutschland und Westberlin geliefert zu haben, ist indessen brüchig. Denn ein Bericht zumindest entging den Aktenvernichtungen in den Stasi-Dienststellen nach Zusammenbruch der DDR. Als Anfang Juni 1988 eine offene Stelle für die Berichterstattung aus der DDR besetzt wurde, meldete die Quelle Waldorf ihrem Führungsoffizier Oberstleutnant Voigt, „bei dem neuen Redakteur handelt es sich um Erdmann, Holger“. Was dem Kundschafter an der unsichtbaren Front allerdings entging: Erdmann war ein Pseudonym.

Präziser waren da schon die Berichte, die die operative Quelle „Beate Schäfer“ Jahre zuvor aus dem Innenleben der taz dem Genossen Voigt, damals noch Major, geliefert hatte. Die Quelle „Schäfer“ ist nach jüngsten Erkenntnissen die Altlinke Brigitte Heinrich. Als Mitarbeiterin der taz denunzierte sie im Mai 1982 ihren Inlandskollegen Klaus Wolschner beim MfS-Mann Voigt: „Er war Kandidat der Alternativen Liste in Berlin. Er begünstigt den SPD-Einfluß in der 'TAZ‘. Er kann als Antikommunist bezeichnet werden und vertritt auch eine Anti-Guerilla- Haltung in der 'TAZ‘. Er lehnt z.B. ab, Berichte über Hungerstreiks oder sonstige Dinge in der 'TAZ‘ zu veröffentlichen.“

Vier Monate später schob „Beate Schäfer“ hinterher, Wolschner versuche, „den Einfluß der linken und progressiven Kräfte in der 'TAZ‘ zurückzudrängen“. Voigt erfuhr durch seine Quelle weiter, daß Wolschner illegale Kontakte in die DDR unterhält. Diese Kontakte gehen, nach Auffassung der Quelle, in Kreise, wie er selbst sagte, von 'Oppositionellen‘ in der DDR.“

Brigitte Heinrichs langjähriger Lebensgefährte, der frühere RAF- Anwalt Klaus Croissant, war der Stasi ebenfalls zu Diensten – unter dem Decknamen „IM Taler“. Mit der Auflösung der Stasi wurde auch ein IM-Bericht von „Taler“ bekannt, in dem er in der taz den „Reformismus“ einer Fraktion gar heftig geißelte, die er im politischen Umfeld des damaligen SPD- Bundesgeschäftsführers Peter Glotz verortete. Der Stasi überbrachte Croissant seine Einschätzung:

„Weit schwieriger wird es, die Glotzfraktion rauszuschmeißen, weil dieser Bazillus resistent ist – in den Köpfen steckt. Bekanntlich hat ja nur eine knappe Mehrheit die Kampagne 'Waffen für El Salvador‘ gebilligt. Der Rest müßte rausgefeuert werden. Leider ist das – jedenfalls im Moment – nicht realistisch.“

Was noch Jahre später in den Maßnahmeplänen als Versuch der Unterstützung der „realistischen Kräfte“ in der Redaktion zu Papier gebracht wurde, hatte schon zu „Schäfers“ Zeiten Vorläufer. Am 1.Februar hielt Voigt unter Angabe der Quelle Schäfer fest: „Durch die linken Kräfte in der TAZ ist geplant, beim nächsten nationalen Forum gegen Wolschner aufzutreten. Die Gründe dafür sind nicht ausschließlich seine Anti- DDR-Haltung, sondern seine Eigenmächtigkeiten, was die Veröffentlichung von Artikeln und Reportagen ist, bzw. seine Eigenmächtigkeiten im Umschreiben von Artikeln und im Weglassen von bestimmten Passagen. [...]so daß der Antrag gestellt werden soll, WOLSCHNER aus der 'TAZ‘ zu entfernen. Man muß jedoch davon ausgehen, daß die linken Kräfte in der 'TAZ‘ zahlenmäßig klein sind und der Ausgang des Antrages bisher noch unsicher ist.“

Inoffiziell wurde ermittelt, heißt es in einer weiteren „Zusammenfassung zur Person“ Wolschners von Anfang 1983, daß er „früher einer sogen. K-Gruppe“ angehört habe. Der Stasi-Sachverstand muß an diesem Tag ausgesetzt haben. K-Gruppe wurde mit „Kampf- Gruppe“ übersetzt.“

Morgen Teil2: Knatsch bei der Stasi – soll man bei der taz mitschreiben?