: Sparen in den Kindergärten
■ Gemeinden und Länder beklagen mit wenigen Ausnahmen die Kosten des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz, der ab 1996 gelten soll / Pläne zum Solidarpakt stellen ihn schon wieder in Frage
Grevenbroich (taz) – In der Vorweihnachtszeit gab die Ministerin sich kinderfreundlich. Nachdem Städte und Gemeinden sich seit dem Sommer gegen den gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zur Wehr setzen, wollte Angela Merkel sich vor Ort umsehen. Und selbst die Drei- bis Fünfjährigen im städtischen Kindergarten Kappelen bei Grevenbroich wußten, worum es geht: „Du bist gekommen, weil Du auch einen Kindergarten machen willst“, lautete die fachkundige Auskunft.
Der im Zuge des neuen Abtreibungsrechts im Schwangeren- und Familienhilfegesetz verabschiedete Rechtsanspruch, der bis 1996 verwirklicht werden soll, kostet Geld. 600.000 Plätze fehlen im bundesdeutschen Westen, der mit seiner kinderunfreundlichen Politik im europäischen Vergleich zu den Schlußlichtern gehört. Allein die Investitionen für die fehlenden Plätze machen nach Berechnungen des Bundesjugendministeriums 21 Millionen Mark aus.
So kommt denn auch die berüchtigte Sparliste der Bundesregierung, die vor Weihnachten in Bonn kursierte, und mit der der „Aufschwung Ost“ finanziert werden soll, zu dem Ergebnis, daß Recht auf einen Kindergartenplatz solle wieder aufgehoben oder zumindest aufgeschoben werden. Und auch der Deutsche Städte- und Gemeindetag seufzt: schon im September drohte dessen Präsident, Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU), mit einer Klage vorm Bundesverfassungsgericht, wenn der Rechtsanspruch nicht ausgesetzt werde – denn die Kommunen sähen sich vor unlösbaren Finanzproblemen. Bundesjugendministerin Angela Merkel dagegen wirft Städten und Gemeinden vor, ihnen fehle lediglich der gute Wille.
Doch auch die Länder sträuben sich gegen die angebliche Kostenlawine. Das Land Bayern sieht sich gar nicht erst verpflichtet, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz einzulösen. Denn im Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1991 lautet es im Paragraph26: „Länder, die den Kindergartenbereich vor 1991 dem Bildungsbereich zugeordnet haben, sind von der neuen Regelung ausgenommen.“ Immerhin haben Bayern und Baden-Württemberg bisher die größte Versorgung mit Kindergartenplätzen in Westdeutschland aufzuweisen. 1986 hatten beide Länder in den Städten sogar mehr Plätze zur Verfügung als gebraucht wurden. Auf dem Land sieht die Versorgung wesentlich schlechter aus.
In Nordrhein-Westfalen, so ein Sprecher des zuständigen Landesministeriums, sei in jeder Hinsicht die Grenze des Machbaren erreicht. Immerhin schaffe die Landesregierung jährlich 25.000 neue Kindergartenplätze. Das Land trägt dabei die Hälfte der Baukosten. Seit Anfang 1992 sieht hier das Landeskindergartengesetz vor, daß 19 Prozent der Betriebskosten durch Elternbeiträge abgedeckt werden sollen. Doch diese Regelung erwies sich in den vergangenen zwölf Monaten als völlige Fehlkalkulation. Künftig sollen Eltern daher strikter zur Kasse gebeten werden. Die Spanne soll von null bis 290 Mark reichen, je nach Einkommenslage. In Berlin, wo im Westteil der Stadt immerhin 27.000 Kinder auf Wartelisten für einen Kita-Platz stehen, wird es für Eltern ab 1993 weitaus teurer als in NRW. Hier reicht die Staffelung von 60 bis zu 490 Mark.
Um wenigstens annähernd an eine hundertprozentige Versorgung mit Kindergartenplätzen heranzureichen, wird in NRW längst daran gedacht, die im Kindergartengesetz festgeschriebenen Standards wieder aufzuweichen. Größere Kindergruppen bedeuteten zum einen mehr Plätze, ohne daß investiert werden müßte, zum anderen ließen sich Personalkosten sparen.
Doch nicht alle Politiker lamentieren gleich, wenn es um die Realisierung des Rechtsanspruchs geht. Rückenstärkung erhielt die Bundesjugendministerin von ganz unerwarteter Seite, nämlich direkt aus der Kommune. Grevenbroichs Bürgermeister Hans Gottfried Bernrath (SPD) ist der festen Überzeugung, daß die Städte sehr wohl in der Lage seien, die nötigen Kindergärten zu finanzieren. Sorge bereiteten ihm nur die Standardrichtlinien der nordrhein- westfälischen Landesregierung, „die uns zwingen, neu zu bauen. Dabei ist der Umbau wesentlich kostengünstiger.“ NRW schießt die Hälfte der Kosten beim Bau von Kindergärten zu, allerdings fließt davon mehrheitlich Geld in den Neubau, nur zu vierzig Prozent in den Umbau schon bestehender Gebäude. Der Kindergarten in Kappelen, der auf dem Besichtigungsprogramm der Ministerin stand, war früher Rathaus; im nahegelegenen Elsen wurde eine ehemalige Nato-Einrichtung der Belgier zum Kindergarten umfunktioniert. Die Räumlichkeiten beider Häuser liegen immerhin ebenerdig. Denn kompliziert wird's spätestens, wenn Treppen für Kinderbeine zu hohe Stufenabstände haben oder wenn sanitäre Einrichtungen nicht in Kinderhöhe installiert sind. Karin Flothmann
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